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Preview August

Moinmoin,

Hauruck die Waschfrau, ihr hier oben habt Sommer? Diese lauwarme Suppe nennt ihr so? Naja, immerhin ist das Sommerloch auch dadurch nicht so schlimm.

Es kommt auch etwas aus den warmen Ländern gleich zu Anfang hergeweht: Ein israelischer Regisseur hat in einer georgischen Ko-Produktion ein Judo-Drama über eine Iranerin gedreht. Cool. wurde schon von Julia und Lua gesehen und sie haben ihn geliebt. In »Tatami« versucht die junge Leila nämlich beim größten Turnier der Welt ihrer Heimat die erste Goldmedaille heimbringen. Doch die Islamische Republik will den Sportsgeist keinen freien Lauf lassen und befiehlt dem Mädchen, mit Absicht auszuscheiden. Befehl ist Befehl. Aber Siegeswille ist auch Siegeswille. In eindringlichem Schwarzweiß stellt sich großes Schauspielkino hier gegen das iranische Diktat, erzählt also mit klassisch intensivem Sportfilm brennend aktuelles Politkino. Ein gewaltiger Publikumsliebling mit und in Co-Regie von Zar Amir Ebrahimi (»Holy Spider«).

Wir machen aber auch gleich weiter mit Exil-Iranerinnen, die den Saal erobern: Bei »Shahid« sind die Leute in der Weltpremiere in Berlin die Leute nicht nur deswegen ausgerastet, weil Crew und Cast in traditionell iranischen Stil auf die Bühne getanzt sind. Der Film selbst kam nämlich vollkommen aus dem Nichts. Erzählt wird autobiographisch die Geschichte der Regisseurin, die ihren Namen ändern lassen will. Doch da hat sie nicht mit den Mühlen der bayerischen Bürokratie gerechnet. Neben tausend Formularen wird unteranderem ein psychiatrisches Gutachten gebraucht, ob die Belastung durch den alten Namen so groß ist, dass er wirklich änderungsbedürftig ist. Wie gesagt: Das ist keine Satire, sondern Realität. Doch während dieser Plackerei stellt sich ihr selber immer weiter die Frage, warum ihr diese Namensänderung so wichtig ist und inwieweit sie damit die Verbindungen zu ihrer alten Heimat kappt. Und dann dreht sich der Film plötzlich auf immer höhere Meta-Ebenen hinter die Kamera. Ein beeindruckend kreatives Gesellschaftsdrama-Komödien-Musical-Experimentalessay über Familie, Flucht und Identität. In Berlin prämiert und als der originellste deutsche Film seit Langem jetzt schon stark in meine Jahresliste eingestiegen.

Hoch in allen anderen Rankings ist aktuell »Longlegs«. Überall heißt es, es sei DER Horrorschocker des Jahres, DER Serienkillerfilm seit »Schweigen der Lämmer« oder »Sieben«. Das Marketing ist clever nebulös und lockt mich alleine schon durch die kryptischen Bilder von Masken und Körpern, daher will ich hier auch gar nicht zu viel verraten. Alles, was ihr braucht und bei euch sowieso schon reicht: Nicolas Cage spielt den titelgebenden Killer. Hab total Bock.

Ziemlicher Underdog des Monats ist wohl »The Dead Don’t Hurt«. Ein Westerndrama mit Vicky Krieps (»Der seidene Faden«, »Corsage«) und Viggo Mortensen (»Herr der Ringe«, »Green Book«, »Crimes of the Future«), das auch noch VON Herrn Mortensen selber inszeniert wurde. Im Nevada der 1860er versuchen eine Franco-Kanadierin und ein Däne fußzufassen, doch der amerikanische Cocktail von Bürgerkrieg, Korruption und ewigem Staub machen den Neuanfang nicht einfach. Impressionistisches Charakterkino mit Cowboyhüten, Pferden und einem prächtigen Schnurrbart-Viggo.

Vier sehr unterschiedliche kleine Filme machen doch einen soliden Sommermonat. Wenn die Filme euch zu klein sind, könnt ihr auch in »Borderlands« gehen, da gibt es immerhin Cate Blanchett. Aber für unseren Kinoklub sah ich mich in der Pflicht, eher das vorzustellen, was nicht eh die Gamerboyz and -girlz auf dem RGB-beleuchteten Second-Screen haben.

Man sieht sich beim Sommertreffen! Danke an Julia!

Euer heimkehrender Kaiser

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Preview Juli

Eigentlich sollten wir uns im Sommerloch befinden. Aber im Anthropozän stößt man auch in den tiefsten Löchern noch auf aller bunte Artefakte unserer wilden Kultur. Also packt eure Schaufeln und schwitzt unter der sengenden Sommersonne, um das hotte Stars, hotte Genres und hotte Topics zu diggen. Was halt so vom letzten Jahrhundert und der schmelzenden Gegenwart übrigbleibt.

Die ersten paar Filme sind alle sogar besonders bunt. Alle auf ihre Art. Numer 1 ist »Hit Man – A Killer Romance«, den Lua letztes Jahr schon auf dem FilmFest Hamburg gesehen hat. Richard Linklater (»Before Sunrise«, »School of Rock«) dreht eigentlich immer einen Film für sich und einen für die Industrie. Dieser Streifen scheint so ein bisschen dazwischen zu stehen. Denn er hat sich einfach mal Spaß gegönnt, aber doch so, dass alle was davon haben. Mit seinem Kumpel Glen Powell (»Anyone But You«) entwirft er den kuriosen Charakter des Gary Johnson. Ein Profi-Killer. Zumindest tut er so. Er verkleidet sich als Auftragsmörder, um andere Kriminelle, die Köpfe organisiert rollen lassen wollen, zu überführen. Und er ist brillant in dieser Arbeit. Doch selbst der Meister der täuschenden Verkleidungen droht hinters Licht geführt zu werden, als er einen Auftrag für die verzweifelte Madison ausführen soll. Eine sexy Killerkomödie mit dem doppelbödigen Wendungsreichtum des Neo-Noirs. Daumen hoch von Kritikern, Festivalpublikum und vor allem Lua.

Ebenso immer wieder in einer neuen mörderischen Rolle steckt Mia Goth in Ti Wests »X«-Trilogie. Nach dem 70er-Slasher und der 1910er-Hommage mit der Mistgabel geht es diesmal auf den Hollywood-Strip der 80er. Maxine Minx, die einzige Überlebende aus dem ersten Blutbad, versucht dort, was alle probieren: ein großer Star zu werden. Diesmal nicht mit Pornos, sondern richtigen Filmen wie dem Horrorstreifen »The Purtian II«. Zeitgleich ist der echte Angst und Schrecken in den Straßen von Los Angeles, denn der Night Stalker fordert immer neue Opfer. Und unvermeidlich kreuzen sich die zwei Pfade – wie das bei einem X nun mal so ist. Man läuft sogar abseits von der diesmal grell blondierten Mia Goth auch Elizabeth Debicki (»Tenet«, »The Crown«), Michelle Monaghan (»Mission Impossible«), Bobby Cannavale (»The Irishman«, »Ant-Man«), Giancarlo Esposito (»Breaking Bad«) und Kevin Bacon (»X-Man: First Class«, »Mystic River«). Das ist »MaXXXine«, das Finale der A24-Horrortrilogie.

Apropos großes Ensemble: Alle wollen jetzt mit Yorgos Lanthimos arbeiten. Und er hat einfach mal alle Anfragen angenommen. In seinem neuen Episodenfilm »Kinds of Kindness« gibt es seinen üblichen Cocktail aus Tanzen, Sex, Ekel und kuriosen sozialen Interaktionen zu trinken und mitschlürfen tun: Emma Stone (»Poor Things«, »La La Land«), Jesse Plemons (»Breaking Bad«, »I’m Thinking of Ending Things«), Willem Dafoe (»The Lighthouse«, »Wild at Heart«), Margaret Qualley (»Drive-Away Dolls«, »Once Upon a Time in Holywood«), Hong Chau (»The Menu«, »The Whale«), Hunter Schafer (»Euphoria«, »The Hunger Games: The Ballad of Songbirds & Snakes«) und noch viele andere. Da trink ich doch direkt einen mit.

Bevor es zu bunt wird nun aber mal ein ganz kleiner, ganz feiner Film. Ich durfte auf der Berlinale »Ein kleines Stück vom Kuchen« sehen. Und der ganze Saal hat ihn zusammen mit mir geliebt. Erzählt wird der Alltag einer 70-Jährigen Dame aus Teheran. Sie ist einsam, denn ihre Tochter ist in Europa und ihr Mann unter der Erde. Die soziale Kälte klirrt auch im Iran. Gerade weil zu viel Annäherung schnell sanktioniert wird. Dennoch wagt unsere rüstige Protagonistin, mit einem Taxifahrer zu flirten, der ihr in einem Café auffällt. Schüchtern doch freudig verabreden sie ein Rendez-vous. Daraus entsteht eine wundervolle kleine Romcom für die fortgeschrittenen Semester, die das Genre unendlich charmant neudenkt. Und es vor allem mit unerwartet drastisch politischen Kontext unterhebt. Denn alleine, dass es so einen Film gibt, ist für iranische Verhältnisse schon ein Eklat. Weswegen die Filmemacher*innen auch nicht nach Berlin reisen durften.

Es gibt auch noch ein paar andere Titel, die ich hier nur unter ferner liefen nennen will: »Love Lies Bleeding« haben zwar schon fast alle gesehen, doch wer Kristen Stewart noch Zehen ankokeln und ablutschen sehen will, hat diesen Monat nochmal die Chance. »Verbrannte Erde« war ein weiterer Berlinale-Favorit von mir, aber kaltschnäuziges deutsches Arthouse-Genrekino ist ja gemeinhin nicht so euer Ding. Wer aber perfekt ausgeführtes Gangsterthrillerkino ohne auch nur ein Gramm Fett zu viel sehen will, der soll ran an den Speck. Und wer gar nicht genug von Glen Powell bekommen kann, für den gäbe es noch den Kathastrophen-Kracher »Twisters«. Inszeniert vom »Minari«-Regisseur. Huiuiui. Das sollte hier wohl nochmal festgehalten werden.

Nicht zu viel zwischen euren Strandausflügen und vor allem auch keine große Ablenkung vom großen Sommertreff! Dennoch: Jahreshighlights, hoffe ich.

Küss die Hand

Das Wiener Sekretariat

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Preview Juni

Na toll, jetzt ist der Kern wieder da und zack: im Kino läuft nichts. Naja, Sommerloch. Ihr kennt das ja mittlerweile. Aber wo wir gerade bei Sommer sind: Es kamen schon Anfragen bezüglich eines JFK-SOMMEREVENT-2K24. Selbstverständlich nehmen wir von Baumannconsulting diesen Impuls gerne auf. Zugegebenermaßen muss das International-Office-Vienna gestehen, dass seine Personalkapazitäten zur Zeit etwas ausgelastet sind. Daher möchte ich den Planungsprozess gerne folgendermaßen gestalten:

(1) Schreibt hier gerne unter die Preview in die Kommentare Ideen für das Sommerevent, also das Was und das Wo.

(2) Schreibt mir direkt, wenn ihr (mit)organisieren wollt, sodass ich euch in eine Planungsgruppe packen kann. Es muss niemand alleine übernehmen.

(3) Guckt schon einmal in euren Kalender, wann ihr diesen Sommer können könntet – oder räumt was frei.

Hoffentlich sieht man sich, trotz der Zerstreuung in aller Herren Länder und Städte!

Vielleicht sehen sich manche aber auch schon bei den folgenden Filmen:

Besonders gut sieh man sich natürlich, wenn das Licht an ist. Und niemand macht die Lampen so an, wie es unser Luxusburgergewinner Mads tut. Der gibt sich die Ehre in »King’s Land«. Da latscht er als Soldat über dieses Königsland, genauer die jütländische Heide des 17. Jahrhunderts. Er latscht auch ganz schön weit, denn im Auftrag des Königs soll die Wildnis kolonisiert und kultiviert werden. Und ein echter Mads, der macht das. Wer soll sonst die Occhios verkabeln? In deren Licht sieht das bildgewaltige Historienepos auch wie geleckt aus. Blut und Katoffeln überschwemmen den Boden, raus aus der Leinwand auf den Kinosamt zu euren Füßen.

Ich braucht es urbaner? Also ab nach New York! Dort designt Alejandro Spielzeug. Cool! Aber sein Visa läuft aus. Uncool! Aber es gibt Hoffnung. Sehr cool! Er soll Tilda Swinton bei ihren kruden Kunstprojekten helfen. VERY COOL! Nebenbei schauen noch RZA (Hip-Hop), Isabella Rossellini (»Blue Velvet«) und Greta Lee (»Past Lives«) herein in »Problemista«. Nicht nur Tildas bunte Haare betreten hier neue Dimensionen. Unter den Deckenplatten der Großraumbüros und Apartment-Fluten finden sich Myriaden neuer Labyrinthe. Ein neues Heim für einen Heimatlosen? Auf jeden Fall ein Film für unseren Filmklub.

Auch wenn die A24-Produktion zwar nicht in dem Sinne Kunstscheiße wie der Kram ist, den ich euch sonst vorstelle, verstehe ich natürlich, dass ihr mal wieder auch einfach was fühlen wollt. Und wo fühlen wir noch etwas, wenn nicht auf der Straße? Der Asphalt, die Reifen, die Motoren. Im Herzen sind wir doch alle »Bikeriders«. Austin Butler (»Dune: Part II«, »Elvis«) und Tom Hardy (»Mad Max: Fury Road«, »Inception«) sind welche und brausen in ihren Lederjacken durch die Kornfelder. Jodie Comers (»The Last Duel«) Kathy ist zwar ”nur” angeheiratet, steht aber auch dennoch nirgends zurück. Auch nicht, als die Gang langsam aber sicher in immer präkere Bredouillen rollt. Michael Shannon (»The Shape of Water«, »Knives Out«) und Mike Faist (»Challengers«) rollen gleich hinterher. Rollt ihr mit?

Das war’s tatsächlich auch schon. Aber dadurch auch mal eine schaffbare Menge, oder? Problem vielleicht: Das Scala hat bis Mitte des Monats zu. Upps. Aber wer wohnt denn auch bitte noch in Lüneburg (LOL). Also: Ab ins Savoy oder ins Kasseler Bahnhofskino. Egal wo: Baumannconsulting is always by your side.

Wiederschaun

Euer JFK(aiser)

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Preview Mai

Während draußen ein Trommelfeuer von Regen auf mein Fensterbrett drischt, so ist doch eigentlich die Sonne über unserer Hemisphäre aufgegangen. Kurze Hosen werden von Sommerkleiderschößen umwuselt, grünes Gras wird braungebruzelt, Studenten quellen wie Qualquappennester über die Parkflächen unserer Innenstädte. Aber sind wir einmal ehrlich: Was kümmert uns das? Im aklimatisierten Dunkel unseres samtenen Kinosaals schlürfen wir an unserem ASTOR-Begrüßungsdrink und lachen mit vom Luxus prickelnden Lippen über das orientierungslose Völkchen unter dem Feuerball da draußen. Doch dicke Feuerbälle bekommen wir auch auf unserer Leinwand:

Während ihr schon letzten Monat die Abenteuer eines Stuntmans in »The Fall Guy« bestaunt habt, gibt es diesen Monat einen Film, der ein Meisterklassenprodukt dieser Zunft sein wird: »Furiosa« setzt George Millers Action-Saga »Mad Max« fort, diesmal ohne den wilden max in der Mitte, sondern eben die Rebellin, die wir in »Fury Road« kennenlernten. In ihrer Vorgeschichte wird der Outlaw jedoch nicht erneut von Charlize Theron gespielt, sondern diesmal von Anya Taylor-Joy (»Emma.«, »The VVitch«, »Queen’s Gambit«). An ihrer Seite rasen zudem Chris Hemsworth (»Avengers«, »Extraction«) und Tom Burke (»Living«, »The Souvenir«) durch die postapokalyptische Wüste. Alle haben coole Vehikel und sonst nichts zu verlieren außer die Aussicht auf die Macht in der Kriegsfürsten-Einöde. Um es mit »Fire Walk with Me« zu sagen: Let’s Rock! Am besten auf großer Leinwand mit FETTEM Soundsystem. Die Sitze müssen wieder vibrieren.

Der nächste fette Film ist wohl vom Tempo eher das Gegenteil. Denn Nuri Bilge Ceylan ist nun einmal als der große Romancier des türkischen Kinos bekannt und seine Werke sind entsprechend wortreich. Jedoch ist besonders sein neuer Film »Auf trockenen Gräsern« gar nicht so sperrig, sein wohl am wenigsten radikaler bislang. Denn das Drama ist ziemlich spannend und wendungsreich. Etwas stimmt nämlich nicht in dem schneeverwehten Dorf, in das der Lehrer Samet zurückkehrt. Vielleicht ist es auch nicht die zerklüftete Gemeinde, sondern er. Jedenfalls entsteht durch die Unzufriedenheit miteinander Reibung. Zwischen ihm und den Schülern, zwischen alten Freunden, zwischen neuen Affären. Doch die allgemeine Festgefahrenheit des Kaffs scheint auch keinen Ausweg zuzulassen. Bis ein junges Mädchen eine Anschuldigung erhebt. Dieses junge Mädchen ist nur eine großartige Darstellerin in diesem großartigen Ensemble, dass drei Nominierungen bei den Goldenen Schnecken erhielt und eine Auszeichnung in Cannes abgreifen konnte. Ihr Schauspiel und die malerisch weiten Bilder machen diesen zugegebenermaßen langen Film zu einem fesselnden Vexierspiel von Machtspielen, Intrigen und der Suche nach etwas menschlichen Glück in bitterster Kälte. Ich habe den Film bei der letzten Viennale als letzten Film von fünf an dem Tag gesehen und ich wurde nicht umgewalzt, sondern war vollkommen belebt und erfrischt, weil dieses große Werk sich so vollständig, so makellos, so lückenlos erzählt, dass es sich wie die Entdeckung eines Klassikers anfühlte. Ich stand an der U-Bahn-Station und dachte: Ja Mann, das war Kino, in wie ich es mich damals verliebt habe.

Etwas plättender war der ebenfalls sehr lange neue Film von Radu Jude, der an dem Tag ebenfalls der letzte nach einem langen Tag war. Nach seinem Berlinalegewinner »Bad Luck Banging or Loony Porn« ist der wahnwitizige rumänische Satiriker zurück mit einem weiteren wortreichen Titel: »Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt«, der auch sein mit fast drei Stunden dickster Film ist. Und einer seiner besten. Ganz kurz: Eine Frau fährt durch Bukarest und castet invalide Arbeiter*innen für ein Unternehmens-Werbevideo. Was es kompliziert macht: All das Drumherum. Rumänische Taxifilmklassiker, Andrew-Tate-Parodie-TikToks, Landstraßenunfallgräbercollagen, Rückbanksex, ein Uwe-Boll-Cameo. Ich habe mal versucht, zu ordnen, was da grob los ist, aber letztendlich muss man es wohl selber entdecken. Und selbst dann ist es noch unfassbar. Unfassbar witzig, unfassbar albtraumhaft und eben doch ganz banal nebenan. Der Ostblock halt.

Den bekommt ihr leider nur auf MUBI, nicht auf der Gartenbaukinoleinwand, sorry. Aber gemeinsam online können wir »Are You There God? It’s Me, Margaret« gucken. Was ganz Harmloses: die kleine Coming-of-Age-Geschichte einer 11-Jährigen in einem US-Vorort, in den Rachel McAdamas (»Mean Girls«, »Wie ein einziger Tag«, »Spotlight«) mit ihrer Tochter zieht. Kathy Bates (»Titanic«, »Der Fall Richard Jewell«) und Benny Safdie (»Oppenheimer«, »Licorice Pizza«) schauen auch nochmal rein. Großer Kritikerliebling, warmherzig, eloquent und erfrischend. Und auch unter drei, sogar unter zwei Stunden.

Für unseren letzten Film gehen wir nochmal zurück auf die Leinwand, obwohl er von Netflix ist. Denn endlich kommt »May December« nach Deutschland. Ich hatte dieses kleine Meisterwerk schon einmal letztes Jahr angekündigt und jetzt auch eine jubelnde Kritik geschrieben, aber nochmal kurz: Natalie Portman (»Léon der Profi«, »Star Wars I-III«) spielt eine Schauspielerin, die eine Boulevardpresse-Legende in einer kommenden Produktion verkörpern soll. Jene berüchtigte Legende ist Julianne Moore (»Boogie Nights«, »The Big Lebowski«) , deren Figur mit einem Schuljungen eine Affäre hatte, schwanger von ihm ins Gefängnis ging und nun seit Jahren mit ihm zusammenlebt, obwohl er altersmäßig ihr Sohn sein könnte. Aiaiai. Herrlich unangenehm seziert Todd Haynes (»Carol«, »Dark Waters«) in dieser Psychodrama-Komödie die überspannten Heuchler der amerikanischen High Society, hat aber bei aller Befremdung auch viel Mitleid mit diesen armen, kapriziösen Seelen. Nicht warten, bis er ins Streaming kommt, sondern auf großer Leinwand die kleinen fiesen Details genießen!

Nicht viele Filme, aber toller Monat, muss ich sagen! Es kommt auch nochmal »Robot Dreams«, den aber die meisten auch schon gesehen haben, aber kann man den vielleicht besten Animationsfilm des Jahres nicht nochmal schauen? Jedenfalls gibt es genügend Gründe zur Flcuht aus dem Sonnenlicht, fort vom Pesthauch der schwülen Schweißluft. Bah. Da lob ich mir doch den Geruch des Scala-Popcorns!

Hochachtungsvoll von der Ostfront, nahe beim Mittelmeer (fast)

Euer JFK-President

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Preview April

Werte Aktionäre,

Avril est venu, Lila kräuselt sich im Betongrün meines Wohnheim-Campus. Während ich durch ein etwas weniger zerfrorenes Wien wanke und dem Sonnenblitzen mit Vampirfauchen, den Kopf in den Fledermausmantel gesteckt, entfliehen zu suche, bleibt Norddeutschland verlässlich stramm verdröbbelt. Oder? Ganz gleich, es lockt einen raus, aber mit dem Bedürfnis, noch etwas Sicherheit zum Rückzug zu haben. Und welche Lichtsamtfalle wartet da mit Wärme, Dach und Zuckerduft auf unsere klammen Knochen? Sie hat viele Namen: Savo, Scala, Filmpalast, Studio, Abaton. Sucht es euch aus. Verteilt sind die vielen Titel dieses ersten vollen Frühlingsmonats nämlich vermutlich quer durch die Bank. Aber wir sind ja auch verstreut, also perfekt vorbereitet.

Der erste Titel kommt sogar aus meiner Hood, zumindest fast: »Andrea lässt sich scheiden« spielt nicht in Wien, sondern in der breitakzentigen Provinz, aber dem Österreicher glüht das Herzle dadurch nicht minder. Der gute Josef Hader (»Wilde Maus«, »Der Knochenmann«) ist zurück und landet erneut eine knochentrockene Komödie in typischen Österreicher-Stil: Tod, Suff und Hoffnungslosigkeit, ohne das man sich davon groß aus der Ruhe bringen lassen würde. Goldene-Schnecken-Gewinnerin Birgit Minichmayr (»Nur Gott kann mich richten«, »3 Tage in Quiberon«) überfährt versehentlich des Nachts auf der Landstraße ihren werdenden Ex-Mann, schafft es aber nach Fahrerflucht nicht mit dem Vorfall in Verbindung gebracht zu werden. Stattdessen sind ihre Kollegen auf dem Revier sicher, dass es der depressive, schwer alkoholkranke Religionslehrer der Gemeinde war, der auch selbst von seiner Schuld überzeugt ist. Lakonisch verkörpert von Hader selbst. In einer köstlichen Nebenrolle Thomas Schubert (»Roter Himmel«), in den ich paar Tage vor der Premiere in Berlin fast auf dem U-Banh-Gleis reingerannt bin. Ist keine deutsche Komödie, also gelten alle Vorurteile nicht. Hatte – wie der ganze Zoopalast – sehr viel Spaß in Berlin.

»Io Capitano« hat wohl nicht in dem Sinne Spaß gemacht für die meisten, wurde aber nichtsdestotrotz auf den Festivals der Welt gefeiert und nicht nur in Venedig auch prämiert. Matteo Garrone (»Gomorrah«, »Dogman«, »Das Märchen der Märchen«) hat diesmal weder Gangster- noch Märchenfilm gemacht, sondern einen über die Flüchtlingskrise. Und reist dafür in die Wüste. Er begleitet den jungen Seydou und seinen Cousin auf ihrer Irrfahrt von Dakar nach Europa, durch die engen Staus in Libyen und die erstickende Weite des Mittelmeers. Mit viel dokumentarischem wie magischem Realismus erzählt Garrone eine homerische Odyssee in unserer unmittelbaren Gegenwart. Definitiv einer der großen, wichtigen Titel diesen Monat.

Ein paar Titel lasse ich diesen Monat raus, weil die wohl nur in meiner Ecke des Pools schwimmen, dafür keschere ich im Gegenzug zwei Titel für euch ran, die mich so gar nicht jucken:

Zum einen ist da »Monkey Man« mit Dev Patel (»The Green Knight«, »Slumdog Millionaire«, »David Copperfield«). Produziert von Jordan Peele wird hier eine Art indischer John Wick zwischen blutigen Fight Clubs und korrumpierten Hochhauseliten  erzählt. Wirkt sehr stylisch, könnte Spaß machen, aber auch viel Blödelei auf zwei Stunden kloppen. Hat für mich gelinde gesagt keine Priorität. Aber wenn man mal ‘nen Abend frei hat…

Selbst wenn ich eine Woche lang nichts zu tun hätte, würde ich nicht in den neuen Guadagnino (»Suspiria«, »Bones & All«, »Call me by your name«) gehen. Aber ich schätze, ihr wollte »Challengers« gucken. Ein sexy Tennisdrama im gemischten Liebesdreieck-Doppel rund um eine arrogant über die Sonnenbrille lukende Zendaya (»Dune«, »Euphoria«, »Spiderman«). Sieht bestimmt wieder auch abseits der athletischen Sternchenkörper toll aus, aber nach drei Fiaskos muss ich mir nicht nochmal eitle Hochglanz-Kunstscheiße vom Breitbartitaliener antun. Ich kann euch aber wohl auch nicht aufhalten…

Nicht großartig wird vermutlich auch »The Fall Guy« werden, dennoch hab ich da schon mehr Bock drauf. Ryan Gosling (»La La Land«, »Barbie«, »Drive«) erlebt explosive Abenteuer als Stuntman mit Namen Colt Seavers und lässt sich auch nicht von noch so krassen Unfällen aufhalten. David Ehrlich von IndieWire kann es selbst nicht fassen, dass er mal einen David-Leitch-Film (»Bullet Train«, »Deadpool 2«, »Fast & Furious: Hobbs & Shaw«) mag, aber selbst er kann sich nicht wehren. Und als Bonus gibt es im Ensemble noch Emily Blunt (»Der Teufel trägt Prada«, »A Quiet Place«, »Oppenheimer«), Stephanie Hsu (»Everything Everywhere All at Once«, »Joy Ride«) und Aaron Taylor-Johnson (»Bullet Train«) oben drauf. Action-Abenteuer-Comedy für die laute Leinwand.

Für die ganze leise Leinwand gibt es Neues von Ryūsuke Hamaguchi (»Drive My Car«, »Das Glücksrad«): »Evil Does Not Exist« erzählt von einer kleinen japanischen Gemeinde am japanischen Winterwald, denen nun ein Unternehmen ein Touristen-Projekt vor die Haustür bauen will. Zwei Marketing-Fuzzis müssen den Clash mit dem Biosystem verargumentieren, doch ein Holzfällervater hat mit seiner Tochter ganz andere Sorgen. Mit viel Lyrik komponiert Hamaguchi hier einen eigentlich fragilen Film, der lange schweigt und über die Natur staunt, dann wieder wie gewohnt viel im Auto diskutiert, fast radikaler noch als bei seinem Tschechow-Film. Doch die Atmosphäre ist so dicht, dass man in dieser malerischen Studie von Natur und Gemeinschaft sofort einsinkt. Hamaguchi zeigt hier, was für ein brilannter Regisseur ist, nicht nur Autor, traut sich ganz unauffällig über ein sublimes Charakterdrama immer tiefer in ein Mystery-Enigma vor. Bei der Vienalle war nach dem Ende lärmendes Getuschel. Und völlig überforderte Fragen beim Q&A. Großer Sport.

Überforderung gab es auf der Viennale auch beim Q&A zu »Eureka«, wo Regisseur Lisandro Alonso völlig überdreht vom Flug aus Argentinien anfing, das Publikum für lasche Fragen und brüchiges Englisch zu kritisieren. Der Film selbst ist das Gegenteil zu seinem feurigen Regisseur, der beim Abspann im Projektorlicht tanzte: Alonso macht Hardcore-Arthouse-Slow-Cinema, aber der hier ist so kauzig, dass er ein guter Einstieg ist. Trotz seiner Länge. Es fängt als eine Art lakonische, jedoch sehr brutale Antiwestern-Parodie à la »Dead Man« an, wird dann ein schlafwandelnder »Fargo«-Verschnitt mit schweren Depressionen, um final dann zu einem halluzinatorischen Dschungeltrip zur Erleuchtung zu werden, der auch einen Apichatpong Weerasethakul staunen machen dürfte. Ich hatte einen unglaublichen Kinoabend, nicht nur wegen des großen Geister-Vogels. Und dem Q&A. Naja.

Viel besser war damals das Q&A mit Alice Rohrwacher, die leider nur per Zoom zugeschaltet war. Dennoch ein herzlicher Sonnenschein sondergleichen. Ihr neuer Film »La Chimera« ist aus ihrer Filmografie bislang der, den ich am wenigsten mochte, jedoch ist diese volkstümliche Ballade über einen Meister-Grabräuber glaube ich ein guter Zugang zu ihrem rusikalen Kosmos. Magischer Realismus im Gegenwartsitalien, viel Filmkorn, noch mehr Menschen und unerwartet viel Gesang. Wer aus dem Adventskalender »Le pupille« mochte oder schon immer »Glücklich wie Lazzaro« sehen wollte, findet hier einen optimalen Schwesterfilm.

Nicht gesehen und auch fast nicht gelesen habe ich über »Irdische Verse«, jedoch wollte ich das neue Werk von Ali Alisgari in die Preview aufnehmen. Zumal das iranische Kino beim JFK ja Tradition hat. Wobei es diesmal kein Killer-Thriller wie der bejubelte »Holy Spider« letztes Jahr und auch kein reines Moraldrama ist, sondern ein finster-satirischer Episodenfilm über das kruder Bürokratiesystem des Irans. Dessen Zuständigkeitsbereich erstreckt sich nicht nur über die klassischen Formalia, sondern auch bis hin zu Kindernamen, Modezweifeln oder entführten Hunden. Würde ich mir auch gerne ansehen, auch wenn der Iran in Deutschland immer stabiler als in Österreich vertreten ist… Geht für mich rein!

Horror dürfte dafür überall laufen. Nur braucht er manchmal, bis er zu uns kommt. »Cobweb« wurde schon vor Monaten von Red Letter Media empfohlen, aber erst jetzt kommt er zu uns. Als »Knock Knock Knock«. Wie griffig. Und deutsch. Naja, immerhin deutet es auf das hin, worum es geht. Denn hier ist etwas in den Wänden. Oder jemand. Was wäre beunruhigender? Kleiner, fieser, unerwartet halluzinatorischer Schockerstreifen, wo weniger im Vorfeld zu wissen wohl vorteilhaft ist. Dadurch zeichnen sich die besten Horrorfilme aber ja auch aus.

Nachdem wir nun in verschiedenste Genrenieschen getaucht sind, nehmen wir auch noch eine Doku mit. Denn »High & Low« ist noch nicht Spike Lees Kurosawa-Remake – bei dem war jetzt gerade erst Drehstart –, sondern ein Porträt des Modeschöpfer John Galliano. Eigentlich nicht so ganz mein Resort (keine Ahnung, ob es hier Fans gibt), aber nach der damals fulminanten Dokumentation zu Alexander McQueen scheint mir die Branche voll von furiosen wie tragischen Schicksalen zu sein. Und Galliano hatte wohl eines der wildesten in der Designergeschichte. Ich bin deswegen auf den Film gekommen, weil MUBI als Kinoverleih viel Werbung macht, was für mich erstmal ein nicht zu vernachlässigendes Zeichen ist. Zu Wort kommen unter anderem Naomi Campbell, Kate Moss, Penélope Cuz und Charlize Theron.

Als großes Finale der Film, auf den zumindest Lua sich glaube ich mit am meisten freut: A24s »Civil War« zeigt, was hoffentlich nicht nach der diesjährigen Wahl passiert [panisch-hysterisches Lachen]. Kirsten Dunst stolpert mit einer Kamera durch ein untergehendes Amerika und Regisseur Alex Garland (»Ex Machina«, »Annihilation«, »Men«) ballert fette Explosionen um sie herum. Sehr ambitioniertes Projekt. Vielleicht überambitioniert? Der JFK wird es initiativ herausfinden, denn genau wie die Journalisten im Film, lassen wir uns nichts vorschreiben. Liegen nur hoffentlich danach nicht am Boden des Kapitols.

Ihr seht: Wir haben im Grunde ALLES im Angebot, von Genregeblödel bis intellektgeladenster Kunst. Ich hoffe, für alle ist etwas dabei, sodass ich ein paar Einträge auf Letterboxd sehe.

Bis dahin

Euer JFK-President

P.S.: Lennart hat die Website repariert, yeah.

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Preview März

Ich würde ja jetzt darüber reden, dass dieser Monat ein ziemlicher Premium-Monat wird, aber letzten Monat hat das auch nicht so recht gezogen. Drei JFK-Events, davon wiederum auch nur zwei aus der Preview. Uff, uff, uff, die Eisenbahn. Krankheit, Beruf und Ländergrenzen behalten die Oberhand im Ringen mit den cinematorischen Genüssen. Der Präsident ist abwesend als wäre er gerade durch Dallas gefahren. Geht es noch um Leben und Kino? Wird der JFK, mit Blick auf den Januar, ein Streaming-Club? Oder behält er seine Tradition, die Kinder von den Sofas aufzuraffen, aus den Dörfern zu locken, von Angesicht zu Angesicht das Knie zu drücken und einander den Drachen erwachen zu lassen? Alles, was ich aktuell dazu tun kann, ist, euch die raffiniertesten Kinodelikatessen zu servieren. Und für März hab ich ordentlich was zum Schnabulieren.

Der erste Snack greift tief in die Geschichte des JFKs: Team Scala grüdnete sich damals, weil niemand außer ein mutiger Marcus mit dem traurigen Tropf Joris in den neuen Film der Coen-Brüder wollte. »Hail Caesar!« war der Grundstein aller Lüneburger Filmkultur, doch nicht nur diese norddeutsche Cinéphilie hat sich verändert, auch die Brüder haben sich getrennt. Joel konnte uns vor ein paar Jahren mit seiner Vision von »Macbeth« durch einen radikalen tonalen und stilistischen Wechsel begeistern, Ethan hingegen bleibt bei dem, womit sich das Duo einst etablierte: Schrägster, wildester und schmutzigster Humor. Sein »Drive-Away Dolls« ist ein kecker Gangsterstreifen, in dem zwei Freundinnen für ihren Mädelstrip unverhofft das falsche Auto schnappen. Denn das im Kofferraum gehört jemandem, der keinen Spaß versteht. Die Kritiker verstanden bei dem Film bislang mal mehr, mal weniger Spaß, fanden ihn mal zu campy, fand ihn mal genau richtig überdreht und hemmungslos. Klingt genau nach dem, was Margaret Qualley (»Once Upon a Time in Hollywood«, »Poor Things«) tragen kann. Nebenher hüpfen noch Beanie Feldstein (»Booksmart«), Pedro Pascal (»Massive Talent«, »The Last of Us«) und Matt Damon (»Good Will Hunting«, »Stillwater«, »Oppenheimer«) durchs Bild. Wohl kein Film zum großen Grübeln, aber genau das braucht man ja auch manchmal.

Etwas mehr wird das Hirn wohl bei »Dream Scenario« durchgeknetet, wobei es aber vielleicht nur noch aberwitziger und kruder wird. Kristoffer Borgli wurde nach »Sick of Myself« direkt von A24 nach Amerika geholt und hat Nicolas Cage in die Hände bekommen, um einen Gang höher zu schalten. Cage spielt hier nämlich einen eher unauffälligen Dozenten, der aber plötzlich im Traum diverser Leute aufploppt. Und plötzlich ist er berühmt. Nur warum genau? Und mit welchen Folgen? Lua hat dies schon erkundet und war begeistert. Er ist dabei nicht allein, speziell Cage wird für eine weitere Karrierebestleistung gefeiert. Es soll einer seiner (bewusst) witzigsten Filme sein, bei dem er mit aller Expressivität dem Affen mal so richtig Zucker geben darf. Und für alle, die in der Schule mal »Inception« gesehen haben und seit dem auf Mindfuck stehen, können jetzt auch endlich ihrer Jugendpassion weiter nachgehen.

Apropos Nolan: Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund wurde auch Kore-edas neuer Film »Die Unschuld« damals in Cannes mit Nolan verglichen. Etwas unerwartet bei dem Mann, den man für seine einfühlsamen Sozial-Familiendramen wie »Shoplifters« oder »Broker« kennt. Jedenfalls lieben die Leute den Film und haben ihn mit einer 4,3 von 5 in die Letterboxd Top 150 katapultiert. Auch in Cannes wurde wurde das Drehbuch ausgezeichnet, das die Geschichte einer Mutter erzählt, die vom Verhalten ihres Sohnes irritiert ist. Sie forscht nach und meint langsam zu entdecken, dass etwas in der Schule vorgefallen sein muss. Doch je mehr sie in die Vorfälle zwischen Eltern, Kinder, Lehrern und Schülern vordringt, umso mehr entfaltet sich das wahre Inferno. Sakura Andō gibt nach »Shoplifters« erneut die Mutter, Ryūichi Sakamoto eine seiner letzten Leinwandkompositionen. Definitiv eines der Highlights diesen Monat.

Für mich ein Highlight, vermutlich weniger für den Rest, wird wohl »Die Missetäter«. Ein 190 Minuten strammer argentinischer Slow-Cinema-Heistfilm. In Cannes war man noch mehr hin und weg als bei Kore-eda, vor allem, weil er so seltsam witzig in seiner Tragikomödie ist. MUBI bringt ihn in die Kinos, vermutlich ein kleiner Start also, aber die hartn JFK-Nerds kommen wohl nicht drum rum. Ich jedenfalls werde mir einen schönen, langen, langsamen Kinoabend gönnen.

Noch ein sperriger Kandidat: Die österreichische Feel-Bad-Cinema-Königin Jessica Hausner ist nach de JFK-Klassiker »Little Joe« zurück mit einer weiteren klinisch kühlen Studie der Menschen. In »Club Zero« gibt Mia Wasikowska (»Alice im Wunderland«, »Only Lovers Left Alive«) einen Ernährungskurs an einer britischen Eliteschule, jedoch mit etwas radikalen Methoden. Denn wer muss schon überhaupt was essen? Hausner entwickelt in ihren präzisen Bildern zwischen den gelbsten aller Sets eine Anatomie der Funktionsweise von Sekten und dringt mit ihrem verschrobenen Humor sowie ihrer chrirurgischen Schärfe tief in das Herz der Finsternis ein. Um die Überlebenden von damals gleich zu entwarnen: Es gibt diesmal richtige Musik, kein Kabuki, kein Hundebellen. Zumindest nicht nur. Denn die Filmmusik hatte ich letztes Jahr sogar für die Musik des Jahres bei den Goldenen Schnecken nominiert.

Ein seichteres Vergnügen wird wohl »Wicked Little Letters«, wenn auch ein pikantes. Im England der 1920er erhält eine erzkonservative Nachbarschaft auf einmal schutzige kleine Briefchen voller Anzüglichkeiten. Ein Skandal! Die Verdächtige: die aufmüpfige rothaarige Irin, der man ja eh noch nie so recht getraut hatte. Aber ist sie wirklich die heimliche Provokateurin? Olivia Colman (»Frau im Dunkeln«, »The Favourite«, »The Father«) und Jessie Buckley (»I’m Thinking of Ending Things«, »Chernobyl«, »Fargo«) dürfen fuchsteufelswild fluchend richtig auf die Kacke hauen, Timothy Spall, Gemma Jones und Eileen Atkins ergänzen das erregte Ensemble. Womöglich etwas albern, zumal in der unerträglich wirkenden deutschen Synchro, aber ich weiß, dass einige Bock haben. Gönnt es euch.

Hoffentlich finden einige dieser Kinoevents wirklich statt. Mit mehr Sicherheit wird es im März aber Filmtagebucheinträge geben durch die Online-Starts, wo wir diesmal auch wieder einige haben. Denn Amazon hat eklatanterweise zwei fette Shadow-Drops gemacht:

Zum einen ist jetzt schon Oscarkandidat »American Fiction« auf Prime streambar. Darin versucht Jeffrey Wright (»Westworld«, »No Time to Die«, »Broken Flowers«) seine Frustration als anspruchsvoller, aber erfolgloser Autor zu lösen, indem er so tut, als wäre er ein schwarzer Autor mit Street-Credibility. Und als schreibender Gangster hat er auf einmal Riesenerfolg. Ein sehr aktuelles Thema über die perfiden Festlegungen von Race in der Literatur sowie die Doppelbödigkeit von White und Black Gaze. Eloquent und politisch gewann die Satire den Publikumspreis in Toronto und vermutlich auch bald einige Genusspunkte.

Gemischter kam in Venedig damals »Ferrari« von Michael Mann an. Das Comeback des Actionmeisters (»Heat«, »Thief«, »Collateral«) legt die energetischen Autorennen im Schoße Italiens neben ein ziemlich tiefgehendes Ehedrama rund um Enzo Ferrari und seine Frau Laura im Schatten ihres jüngst verstorbenen Sohnes. Gerade Penélope Cruz (»Parallele Mütter«, »Fluch der Karibik«, »Der beste Film aller Zeiten«) ist furios in ihrer Bitterkeit, Adam Driver (»Marriage Story«, »Paterson«, »Annette«) ist massiv unter der Sonnenbrille, Shailene Woodley (»Big Little Lies«, »Dumb Money«) charmant am Rande. Trotz hoher handwerklicher Intensität konnte sich die Begeisterung des Rennsports nicht so richtig auf mich übersetzen, wohingegen sich Mann etwas zu sehr mitreißen lässt und so vom Charakterdrama etwas wegschaut. Dennoch ist es ein imposanter Streifen für die große Leinwand. Und nachdem »Le Mans 66« damals das große JFK-Astor-Event war, muss die Tradition hier weitergeführt werden. Wenn auch nur in den privaten Liegesitzen und dem hauseigenen Platzservice.

Viel ruhiger ist dahingehend auf Netflix »Spaceman« mit Adam Driver und Carey Mulligan. Die Ehe der beiden ist genau wie bei den Ferraris etwas angespannt, hier aber nicht wegen Autos und Nebenfrauen, sondern weil Adam für die tschechische Raumfahrt in den Tiefen des Alles verkrochen ist. Langsam fühlt er sich sehr einsam. Bis eine Alienspinne für therapeutische Gespräche auftaucht. Gesprochen von Paul Dano. Kein weltbewegender Film, aber entspannt, akustisch wie visuell sehr spährisch, mit einem tollen Sparks-Song im Abspann.

In dem Sinne verabschiede ich mich auch für diesen Monat mit einer Sparks Zeile, an meine wahre Geliebte, den JFK: My word, she’s from Germany. Well, it’s the same old country, but the people have changed. Jedoch nicht die Liebe zu den Kinos und Luxusburgern. Das sind immerhin die letzten Pfeiler der Demokratie und der Zivilisation wie Baumannconsulting sie vermarktet. My word, Germany
With its splendid castles and fine cuisine.

Ergebendst

Euer JFK-President

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Preview Februar

Es schallt Oh und Ah, der Messias ist da. Ja, ihr hört richtig, ich bin wieder in Allemagne zur Zeit. Ein Monat Semesterferien, bis in Kakanien wieder regiert werden muss. Und zu was für einen Monat ich zurückkehre! Oscarfilme, Festivalhighlights, Liebe, Krieg und Bodenbelag. Hach! Zwei Mankos: Zum einen bin ich den halben Monat über auf der Berlinale und ihr müsst euch selbstorganisieren, zum andern hab ich die Hälfte der Titel schon geguckt. Upps. Aber so kann ich euch umso besser informieren:

Den ersten Film habe nicht nur ich schon auf der Viennale gesehen, Jasmin hat ihn in einer Scala-Spezial-Testvorführung gesehen. »Green Border« ist nämlich ein Film mit viel Diskussionspotential, nicht nur bei Scala-Ommis: Die polnische Altmeisterin Agnieszka Holland geht für ihren neuen Film an die Grenze ihrer Heimat, genauer zu der bei Belarus. Diese dichtbewaldete Region ist ein geopolitischer Schlüsselpunkt, denn dort ist für viele Flüchtlinge jener Breitengrad, der sie nach Europa bringt. Gleichwohl nutzt Diktator Lukaschenko das Nadelöhr für seinen ideologisches Ringen mit der EU. Umgekehrt hat aber auch Polen auf der anderen Grenzseite keine besonders offene und tolerante Politik. So werden die orientierungslosen Migranten durch Büsche, Sümpfe und Stacheldraht geschoben, der Gunst von Grenzsoldaten und humanitären Freiwilligen ausgeliefert. In Venedig ausgezeichnet erzählt das Drama in grimmigem Schwarz-Weiß gleich mehrere Perspektiven, die sich an jener grünen Grenze treffen. Ein Film, der sehr menschlich nah ist, aber schwer wie Blei im Magen liegt. Seine Aktualität und Relevanz markieren sich aber schon daran, dass Polen sich offiziell schon bei der Biennale vom Film distanzierte und die Regisseurin als Nazi beschimpfte. Alleine schon deswegen sollte man mit dem Kinogang Stellung beziehen. Dicke Empfehlung auch von einer geplätteten Jasmin.

Lieber ein bisschen Komfort? Farben? Genießen? Dann hab ich was für euch! Der Vietnamese Trần Anh Hùng ist nach Frankreich gegangen, um dort das zu zelebrieren, was wir im ostasiatischen Kino lieben gelernt haben: Essen. »Geliebte Köchin« erzählt die Geschichte eines Meisterkochs namens Dodin im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhundert, der die hohe Gesellschaft mit seinen Kreationen stetig verzückt. Ihn verzückt aber noch mehr seine Helferin, die schöne, aber vor allem nicht weniger meisterliche Eugénie. Sie liebt es, mit ihm zu kochen und zu leben, lehnt aber seine Verlobungswerbungen galant, aber beharrlich ab. Doch versucht Dodin seine romantische Passion durch seine kulinarische Passion zu artikulieren. Gerade als Eugénie krank wird. Der Film wurde letztes Jahr für vier goldene Schnecken nominiert, einschließlich Beste Regie und Bester Hauptdarsteller, und konnte den Preis für die Beste Kamera mühelos gewinnen. Köstlichst zelebriert der Film die feine Küche, das Dampfen der Töpfe, das Fließen der Saucen, das feine Drappieren und Garnieren. Hochkarätig mit dem echten Paar Benoît Magimel (»Die Klavierspielerin«, »Incredible but True«, »La Haine«) und Juliette Binoche (»High Life«, »Drei Farben: Blau« »Caché«) ist »Geliebte Köchin« nicht nur ein Augenschmauß, sondern auch eine der intimsten Liebesgeschichten des Jahres. Näheres hier.

Eine etwas aufreibender Liebesgeschichte bekommt ihr in »All Of Us Strangers«. Andrew Haigh ist die vielleicht aufregendste Stimme de New British Queer Cinemas und festigt hiermit seinen Status an der Spitze. Andrew Scott (»Sherlock«, »Fleabag« »1917«) spielt einen einsamen, wohlhabenden Homosexuellen, der in einem Hochhausloft am Rande Londons wohnt. Nur ist das Gebäude völlig leer bis auf ihn. Und Paul Mescal (»Aftersun«, »Normal People« »Foe«). Doch kann sich Scotts Figur nicht richtig auf den jungen, ebenfalls einsamen und vor allem ebenfalls schwulen Nachbarn einlassen. Erst muss er etwas klären, mit seinen Eltern. Jedoch mit denen in seinem Alter, jenen seiner Kindheit. So entspinnt sich ein buchstäblich fantastisches Liebes- und Familiendrama, was eigentlich nur aus vier Personen besteht. Das brillante Ensemble bekam eine der vier Nominierungen bei den Goldenen Schnecken, wo der Schnitt die Trophäe auch abholen konnte. »All Of Us Strangers« reißt einen in einen Fiebertraum, der quer gegen alle Regeln der Zeit rauscht, wirft einen in verzerrte Albträume, tranceartige Clubs und intimste Bettszenen. Ich hatte nicht nur wegen dem Fieberschüben an dem Tag bei der Viennale Tränen in den Augen. Kritiker und Publikum bei ihren Höchstwertung wohl auch. Würde spontan einen Top 10 Slot in der Jahresliste vermuten.

Nicht in Wien, dafür vor fast genau einem Jahr in Berlin habe ich »Reality« geguckt. Der Titel spielt nur zur Hälfte auf die Wirklichkeit um uns herum an, zur anderen auf den tatsächlichen Namen einer Frau, die dafür sorgen wollte, dass wir diese Wirklichkeit anders wahrnehmen. Denn Reality Winner (was für ein Name) hat nicht nur einen Nausicaä-Magneten am Kühlschrank, sondern auch den Geheimdienst vor der Tür. Zwei Agenten wollen sie nämlich einmal ganz ungezwungen dazu befragen, ob sie etwas über Geheimdokumente weiß, die aus ihrem Büro verschwunden sind. Es entspinnt sich ein immer engeres, beklemmendes Kammerspiel, dessen messerscharf Dialoge tatsächlich samt und sonders so gesagt wurden. Regisseurin Tina Satter hat nämlich die Originalprotokolle erst für ihr Theaterstück, auf den nun der Film basiert, adaptiert, was ihrem paranoiden Psychodrama einen geradezu vibrierenden realen Terror verleiht. Extrem intensiver kleiner Film über Mut und Whistleblowertum, gerade auch sehenswert für die, die überprüfen wollen, ob »Euphoria«-Star Sydney Sweeney mehr als ihre letzte Netflix-RomCom »Anyone But You« kann. Näheres hier.

Ein anderer sich beweisender Serienstar ist diesen Monat Rhea Seehorn (»Better Call Saul«). Sie spielt nämlich in »Linoleum« mit. Dort erfüllt sich ein gescheiterter Kinder-Wissenschafts-Show-Host seinen Kindheitstraum und baut sich eine Rakete in der Garage. Soweit, so LB. Doch langsam beginnt sich die Realität um den bebrillten Bastler zu zersetzen und es entspinnt sich ein angenehm schräger Film voller Hoffnung, Humor, Tränen, Träume und und und plus eben unsere Emmy-beraubte Lieblingsanwältin. Je weniger man weiß, desto besser vermutlich. Und dann bis zur Unendlichkeit und viel weiter.

Vor den beiden dicken Dingern noch ein weiterer kleiner Streifen, den uns MUBI auf die Leinwände bringt: »Los Colonos« ist ein chilenisches Neowestern-Abenteuer, in den drei Reiter das weiter Land vermessen sollen. Zwischen den malerischen Panoramen Patagoniens und des Atlantiks brütet der Film ruhig und markerschütternd über dem nationalen (wenn nicht gar kontinentalen) Trauma von Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus, wobei der Ausritt unerwartet blutig wird. Man sollte sich vielleicht warm anziehen und nochmal die Aufmerksamkeit mit ein paar Mates wecken, doch dann wartet bei diesem kleinen Release vielleicht einer der unerwarteten großen Filme des Monats. “A Chilean ‘Killers of the Flower Moon’ Companion Piece”, wie es in IndieWire heißt.

Der erwartbarste große Film des Monats spielt jedoch nicht am Rande der uns bekannten Welt, sondern im Zentrum einer uns fremden Galaxis. Drei Jahre haben wir gewartet, eine Verschiebung durch den Streik, jetzt ist er endlich da »Dune: Part II«. Jetzt wird es ernst auf dem Wüstenplaneten, denn die Sandvölker haben ihren wurmreitenden Messias, der gegen den Imperator und seine finsteren Günstlinge ins Feld zieht.Zum großen Cast vom letzten mal gibt es jetzt als Bonus unter anderem noch Christopher Walken, Austin Butler, Florence Pugh und meine angebetete Léa Seydoux. Ich glaube, wer den sehen will, weiß das schon seit drei Jahre und mehr. Wahrscheinlich und hoffentlich eines der großen JFK-Events des Jahres.

Das Beste kommt aber zum Schluss: Seit zehn Jahren warte ich nun auf »The Zone of Interest«, den neuen Film vom großen Visionär des Gegenwartskinos Jonathan Glazer (»Under the Skin«, »Sexy Beast«). Als er sagte, er würde Auschwitz zum Protagonisten machen, war ich unsicher, was ich mir vorstellen soll. Aber laut den Kritikern ist er wie erhofft jetzt schon eines der integralen Meisterwerke des Jahrhunderts. Denn Auschwitz ist hier ein besonderer Protagonist, da es unsichtbar ist. Erzählt wird nämlich die Geschichte des Konzentrationslagerkommandanten nebenan. Wie lebt sich ein Alltag Tür an Tür mit einer Todesmaschine? Kann man sie ausblenden? Was macht das mit einem Menschen? Dem geht Glazer mit seinen Hauptdarstellern Christian Friedel (»Das weiße Band«) und Sandra Hüller (»Anatomie eines Falls«, »Toni Erdmann«) sowie seiner brillanten Stamm-Komponistin Mica Levi (»Under the Skin«, »Monos«) auf den Grund. Traut euch und sei es nur um meiner Willen. Diesen Film hatte ich seit der Gründung der Gruppe im Kopf.

Was für ein Monat. Wenn da nicht jeder mindestens einen, nein: mindestens zwei Titel guckt, dann werden wir dem F in unserem Namen nicht gerecht. Also drückt F und zollt Respekt und erinnert euch in diesem klammen Frühjahrsmonat, warum ihr einem Kinoklub beigetreten seid. Und sei es nur, damit ihr mich mal wieder in Person anspucken könnt, was für einen artsy-arroganten Angeber-Geschmack habe. Das könnt ihr euch nicht entgehen lassen.

Von der Schiene

Euer Gottkaisermessias

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Preview Januar

Bei den guten Vorsätzen für 2024 schrieben die allermeisten JFK-Mitglieder, dass sie unbedingt bei mir Kino-Versammlungen teilnehmen wollen. Wohl an, dann mal ran an den Speck, das Jahr ist eröffnet. Wie viele Liste wollt ihr dieses Jahr auf eure Liste schaffen? Und welche dürfen nicht fehlen?

Bei hoffentlich niemandem wird das neue Kunstwerk aus dem Hause Ghibli fehlen. »Der Junge und der Kranich« ist sicher nicht nur einer der Top-Titel des Monats, sondern des Jahres überhaupt. Bei der Wien-Premiere rastete der Saal schon beim Logo aus. Es folgt eine märchenhafte Fabel zwischen Kriegstrauma und Zaubertürmen, in die sich ein kleiner Junge flüchtet. Denn ein blauer Kranich neckt und lockt ihn. Was ihn erwartet ist wieder so magisch, bunt und kreativ wie »Chihiro«, doch nicht bloß mehr vom gleichen. Der Meister Miyazaki raffiniert es weiter mit europäischer Kunst und Kultur von Impressionisten bis Mussolini, jedoch nur um noch tiefer in die Seele seiner japanischen Heimat einzudringen. Verdientermaßen ausgezeichnet mit der Goldenen Schnecke für den Besten Animationsfilm 2024. (Spoilerfreier) Viennale Ersteindruck hier.

Nicht ausgezeichnet wurde »Priscilla« bei den Schnecken, dafür bei den Löwen in Venedig. Sofia Coppola (»Lost in Translation«, »On the Rocks«, »The Virgin Suicides«) nimmt sich den King of Rock’n’Roll vor, nur eben aus der Perspektive seiner kindlichen Geliebten. So verquickt sie das Star-Porträt von Aufstieg und Fall mit einer Coming-of-Age-Romanze, die träumerisch wie abgründig ist. In prachtvollen Bildern geht Coppola damit mitten ins modrige Herz des ur-amerikanischen Elvis-Mythos. Und mit Cailee Spaeny und Jacob Elordi betreten damit zwei neue Sterne am Hollywoodhimmel das Parkett. Nicht Coppolas bester Film für meinen Geschmack, aber erneut eine sublime Analyse von Zwischenzeiten und Zwischenräumen auf dem Weg vom anhänglichen Mädchen zur eigenständigen Frau.

Noch kräftiger feministisch wird es nach ihrem MeToo-Thriller »The Assistant« erneut bei Kitty Green. Für »The Royal Hotel« schickt sie Julia Garner und Jessica Henwick in die australische Wüste, wo sie in einer Bar arbeiten sollen. Doch erweist sich das Klima in der Bergarbeiter-Domäne als ziemlich grimmig. Und im Outback hört dich keiner schreien. Ein Festival-Geheimtipp, der vor allem für seine energetischen Hauptdarstellerinnen gefeiert wurde. Endlich mal wieder gutes Indie-Thrillerkino mit starken Frauen für starke Frauen (und Herren) mit starken Nerven.

Noch mehr Frauen gibt es bei der Tunesierin Kaouther Ben Hania. Bislang konnte mich die gefeierte, oscarnominierte Regisseurin zwar so gar nicht überzeugen, doch möchte ich euch nicht ihren neuen Film »Olfas Töchter« vorenthalten. Zumal dieser Dokumentarfilm einen überaus originellen Ansatz hat: Aus einer Familie verschwinden zwei von vier Töchtern. Mutter Olfa bekommt sie jedoch wieder. Nur anders als gedacht: Denn zwei Schauspielerinnen schlüpfen in die Rollen. »The Rehearsal« auf Arabisch, das klingt schon verdammt interessant.

Noch interessanter ist aber die wohl stärkste Frau diesen Monat: Mit ihrer finstren Barbie Bella Baxter steht Emma Stone (»The Favourite«, »La La Land«, »Birdman«) ganz vorne im Oscar-Rennen. Und sie gibt wirklich alles, mit jeder Muskelfaser. Und die Rolle gibt es her: Denn Bella ist eine Art Frankenstein-Braut, erweckt von den Toten, nur mit dem Gehirn eines Fötus. So lernt sie die Welt neu kennen, vorurteilsfrei und wissbegierig. Nur ist ihr Fleisch von einer ausgewachsenen Frau nicht minder gierig als ihr infantiler Verstand. Und das überfordert auch die abgebrühtesten Chirurgen und Casanova um sie herum. Der neue Film von Yorgos Lanthimos (»The Killing of a Sacred Deer«, »The Lobster«, »The Favourite«) hat nicht nur das Festival von Venedig gewonnen, sondern auch bei den Goldenen Schnecken, wo die abstruse Komödie stolze vier Trophäen nach Hause tragen konnte. Die schönste Schnecken davon bekam Mark Ruffalo (»Avengers«, »Spotlight«, »Dark Waters«), der hier Kens abgewichsten Rammel-Cousin spielt. Doch egal ob Kostüm, Kulisse oder Musik, alles an »Poor Things« ist der Wahnsinn. Was erwartet man sonst bei dem irren Griechen? (Spoilerfreier) Viennale Ersteindruck hier.

Wer weniger Sex, aber dennoch sexy Menschen sehen will, der kann auf Prime vielleicht mit »Foe« beglückt werden. Garth Davis schickt Saoirse Ronan und Paul Mescal in eine Sci-Fi-Dystopie, wo sie auf einem kleine Stück Land ein eher hoffnungsloses Dasein in den letzten Stunden der Menschheit fristen. Doch da klopft ein Angebot an ihrer Tür für ein neues Leben, das jedoch nicht beide anlächelt. »Foe« bekam leider sehr gemischte Kritiken, doch ich möchte mal reinschauen. Alleine für Saoirse.

Ebenfalls aus der Kategorie Mal Reingucken, sind zwei Starts auf Netflix: Zum einen ein Anime namens »maboroshi«, wo eine explodierende Fabrik nicht nur eine Kleinstadt, sondern auch eine junge Liebe aus der ihnen bekannten Realität reißt, zum anderen noch ein Science-Fiction-Streifen namens »The Kitchen«, wo Daniel Kaluuya dystopische Gentrizifierung im London von 2044 inszeniert. Gab bislang wenig Reaktionen zu beiden, die aber tendenziell positiv. Wenn man schon an mehr Versammlungen teilnehmen will, dann möchte ich auch Gelegenheit dazu geben.

Nach dem »Barbie«-Jahr fühlt es sich doch gut an, mit vielfältigen Powerfrauen ins neue Jahr zu starten, oder? Ich hoffe, der JFK wird als Antwort darauf nicht nur das Jungs-Abenteuer vom alten Japaner gucken. Doch ich hab Hoffnung in euch tapfre Krieger*innen! Macht mich stolz, macht euch stolz, macht Baumannconsulting stolz! LB bucht euch Karten für alles, wenn ihr ihn fragt. Denn Baumannconsuling is always by your side.

Noch norddeutsche Grüße

Euer JFK-President

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Preview Dezember

Vor der Fenstern des ICEs liegt Schnee. Offensichtlich wird es Winter. Um der Kälte zu entfliehen lockt es einen mehr denn je in die Kinos, jedoch ist das Programm gewohnheitsmäßig zurückgefahren im letzten Monat des Jahres. Schließlich kommen die ganze Feiertage ja immer in den Weg der Planung. Aber ein paar Geschenke liegen dennoch unterm Baum. Und schaut doch, wie hübsch und bunt sie sind!

Na gut, Schwarz ist nun nicht die allerbunteste Farbe, aber in »BlackBerry« machen ein paar weiße Jungs Dinge, die sich niemand hätte ausmalen können. Denn ein paar kanadische Nerds und ein verzweifelter Business-Hai mit Halbglatze entwickelten Ende des letzten Jahrhunderts das Smartphone. Wie »The Social Network« als abgedrehte Komödie feierte »BlackBerry« auf der Berlinale Weltpremiere und ballerte die Leute so hart weg, dass der Typ hinter mir spontan einen Krampfanfall bekam (das ist kein Scherz). Aber nachvollziehbar bei dem wohl coolsten Soundtrack-Drop und dem wildesten wie vampireskesten Zitat des Jahres. Und dann auch noch »It’s always sunny in Philadelphia«-Star Glenn Howerton. Mehr Infos von JFK-Investigativreport hier.

Einen Film den ich noch nicht, dafür aber Julia und Lua schon gesehen haben, ist »How to Have Sex«. Darin wollen ein paar britische Teenies sich durch den Sommerurlaub ihres Leben feiern, doch geht ihre Jugend ganz anders zu Ende als sie es sich erträumt hatten. Die Festivals der Welt liebten das Spielfilmdebüt und sogar Julia, die keinen Sex auf der Leinwand abkam, gab dem Film einen Daumen hoch. Elektrisierende Partys, Schweiß in der Sommernacht und ein Dämmern von Bedrohlichkeit über allem Spaß. Cheers mate!

Apropos Großbritannien: Nach seinem ausgezeichneten Florence-Pugh-Psychodrama »Lady Macbeth« von 2016 ist der Londoner Filmemacher William Oldroyd endlich wieder zurück, verlagert die Handlung aber über den Atlantik nach Neuengland, genauer in das der 1960er, noch genauer in ein Gefängnis. Dort in dieser Strafvollzugsanstalt für Jugendliche ist Eileen als Sekretärin tätig. Eine Existenz, die sie anödet. Bis die neue Erziehungsbeauftrage Rebecca auftritt und zum Zentrum von Eileens Bewusstsein wird. Die graue Maus nähert sich der glamourösen Blondine an und beide entwickeln eine enge Bindung. Doch je enger sie sich kommen, desto sinistrer werden die Geheimnisse, die zwischen den beiden Frauen hervorkriechen. Thomasin McKenzie (»Leave No Trace«, »Jojo Rabbit«) macht hier hoffentlich zumindest bei mir das »Last Night in Soho«-Debakel wett, Anne Hathaway (einst noch in »Rachel is getting married« oder »Brokeback Mountain«) etwa das letzte Jahrzehnt. Und wenn man den Kritiken glauben darf, gelingt das mit diesem kleinen surrealen, noirigen Psychothriller namens »Eileen«.

Als pendant zum furiosen Femininen jetzt was für echte Männer: Wrestling! Sean Durkin (»The Nest«, »Martha Marcy May Marlene«) hat für A24 einen Film über die Von Erich Familie namens »The Iron Claw« gedreht, deren berühmte Söhne in ebenso berühmte Tragödien verwickelt sind. Das Sport-Familiendrama ist muskulös besetzt mit Zac Efron (»High School Musical«), Jeremy Allen White (»The Bear«) und Harris Dickinson (»Triangle of Sadness«) und ist vermutlich einer der Herausforderer den A24 für die Oscars in den Ring schickt.

Das war jetzt alles ziemlich westlich, ziemlich weiß. Gehen wir doch nach Japan! Und zwar mit einem Film der bestätigt für das Land bei den Oscars eingereicht wurde. Nur ist er von einem Deutschen gedreht. Wim Wenders (»Paris, Texas«, »Der Himmel über Berlin«, »Im Lauf der Zeit«) hat zwar seit gut vierzig Jahren keinen guten Spielfilm mehr gemacht (ob er durchaus immer aktiv war), aber diesmal soll er sich endlich wieder zusammengerissen haben. Denn die Prämisse von »Perfect Days« ziemlich entspannt. Hirayama hat als Toilettenreiniger in Tokio nun eigentlich nicht das schönste Leben, doch füllt er es mit lauter kleinen Routinen. Er mag Essen, er mag Bücher und fotografiert Bäume. Wir folgen seinem Alltag und verstehen langsam aus Fragmenten seiner Vergangenheit, wie Hirayama zu diesem Alltag gekommen ist. Ein Lo-Fi-Film to study and relax. Ausgezeichnet in Cannes.

Nichts außer herausragende Kritiken hat in Cannes der neue Film von Todd Haynes (»Dark Waters«, »Carol«) bekommen. Dort geht er mit Nathalie Portman und Julianne Moore auf den Boden zweier Frauenseelen. Eine Schauspielerin besucht für die Recherchen zu einer Rolle nämlich einen alterenen weiblichen Star, der vor zwanzig Jahren in einen großen Klatschpresseskandal verwickelt war. Der verspielte, aber auch tiefschneidene »May December« kommt am 1. Dezember so ziemlich überall auf Netflix – nur in Deutschland ist er irgendwie nicht laut allen Quellen bestätigt. Wir schauen mal, was passiert…?

Während wir also noch vor dem ersten Adventskalendertürchen zittern, gibt es ansonsten ganz sicher ein reichhaltiges cinematorisches Festbankett, durch dessen feine Speisen man für jeden entfernten Verwandten an der Weihnachtstafel einen Geheimtipp in der Hinterhand hat.

Tannenduftende Grüße

Euer JFK-President

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Preview November

Grüß Gott wertes Nordvolk,

Sorry für die Verspätung der Preview. Durch die Viennale war ich voll eingespannt bis zum letzten Tropfen des vergangenen Oktobers, konnte dadurch aber schon einige Highlights für das kommende Jahr auskundschaften. Wen es interessiert: Natürlich kommen (spoilerfreie) Reviews zeitnah zu beispielsweise »Poor Things«, »Ferrari« oder »Der Junge und der Kranich« (das ist der neue Miyazaki) auf meinem Letterboxd. Stay Tuned.

Erstmal kommen jetzt aber endlich die Novemberstarts. Natürlich läuft schon seit letzten Donnerstag was im Kino, doch der Großteil kommt erst nach hinten raus mit dem Winterwind angeweht. Und was da alles angeweht kommt!

Aber was liegt denn da schon vor unseren Füßen, frisch vom Himmel gefallen: »Anatomie eines Falls« ist in den Kinos und mit ihm tatsächlich einer der großen Favoriten des Jahres. Nicht nur für mich Nieschen-Nerd, sowohl für Kritiker als auch Publikum ist der Cannes-Gewinner ein Höhepunkt von 2023. Wir reden von einer 4,2/5 auf Letterboxd und einem Meta-Score von 87/100. So sehr hat das Rätsel um den Tod eines Mannes die Leute in den Bann gezogen. Doch was ist passiert? Ist der Tote versehentlich in den Schnee gestürzt, war es ein Unfall? Oder ist es wie in den meisten Fällen die Ehefrau, also Mord? Hatte der Sohn nicht schon öfter Streit gehört? Und war da nicht eine Affäre der Gattin mit einer anderen Frau? All das und vieles mehr wird in dem Thriller enträtselt oder mitunter auch nur noch mehr verwirrt. Im Zentrum Team-Scala-Ikone Sandra Hüller (»Toni Erdmann«, »In den Gängen«), deren Leistung immer wieder als »Tár«-worthy bezeichnet wurde und ihr endgültig den Titel Queen-of-Cannes einbrachte. Eindeutig das Highlight des Monats für mich, läuft jetzt, ab rein.

Einer für mich, jetzt einer für euch: »Sympathy for the Devil«. Nicht die Stones, nicht Godard, nicht einmal Laibach. Nein, es ist Nicolas Cage. Diesmal als der Beelzebub persönlich. An den Leibhaftigen gerät ein argloser Fahrer wider Willen durch eine Schießerei. Und er wird ihn in dieser langen Nacht auch nicht mehr so schnell wieder los. Lua hat ihn schon gesehen und fand ihn eher gut als gurkig und nun hat auch der Rest der Cage-Crowd die Gelegenheit. Außerdem im Actionthriller auch noch Joel Kinnaman (»The Suicide Squad«) als Der Fahrer.

Welchen Lua noch nicht vorab gesehen hat, dafür aber ich in der Weltpremiere ist »Tótem«. Ein kleines mexikanisches Familiendrama rund um den Geburtstag eines totkranken Familienvaters, primär aber erzählt aus Sicht der Kinder. Hin und her sausend beobachtet man den langsam zu Chaos zerfallenden Mikrokosmos, zusammengehalten aber von einem lebendig-frischen Ensemble und intensivst poetischen Bildern. Einer der Highlights der Berlinale, auch hier sowohl bei Publikum als auch Kritikern mit viel Jubel willkommengeheißen.

Noch länger her ist es bei mir mit »Joyland«, wobei ich dort auch keinen analogen Applaus hören konnte, da ich ihn im Rahmen des IFFHM online gesehen hatte. Dafür eilten ihn auf Letterboxd schon die Lorbeeren als Geheimtipp des Jahres voraus. Und verdient, denn aus Pakistan bekommt man hier eine der berührendsten Liebesdramen seit langem. Doch muss es sich behaupten gegen die patriarchalen Strukturen, in denen die im Kern stehende Familie Rana lebt. Die Oberhäupter erwarten neuen Stammhalter, was in der kriselnden Ehe von Haider und Mumtaz aber so gar nicht in Aussicht steht. Es ist eigentlich schon nur mit Knirschen hingenommen, dass Mumtaz als Kosmetikerin die Ernährerin ist, während Haider schon länger in trister Arbeitslosigkeit vor sich hin dümpelt. Dabei hat er einen Traum, den er aber nur heimlich nachgehen darf: Erotiktänzer. Ein Skandal, der noch skandalöser wäre, wenn jemand von seiner transsexuellen Geliebten dort erfahren würde. Ein Plot, der Anlage für ein Bollywood-Melodram sein könnte, hier aber in malerischen Bildern mit viel Feingefühl und Melancholie umgesetzt ist. Das Ende gehörte zu den intimsten und schönsten Momenten, die ich 2022 im Bewegtbild erleben durfte.

Vielleicht fragt sich jetzt jemand, wie ich trotz solcher Lorbeeren das Prädikat Film des Monats eingangs schon einem anderen geben konnte. Zugegeben, eine riskante These (bei der ich aber bleibe), besonders in Anbetracht des nächsten Filmes, den mein guter Freund Luca, ein abgebrühter Filmnerd, mit Abstand als seinen Film des Jahres bezeichnet: »The Quiet Girl«. Ein irischer Film, der aber nicht auf Englisch, sondern wirklich Gälisch gedreht wurde. Daher auch die Oscar-Nominierung für den Besten fremdsprachigen Film. Dabei redet die Protagonistin gar nicht so viel. Vernachlässigt von ihrer Familie wird die kleine Cáit zu Verwandten aufs Land abgeschoben. Dort erlebt sie einen Sommer voller Wärme, entdeckt aber auch unvermutete Geheimnisse. Und es soll ein todtraurige Szene mit einem Keks geben. Also optimale Vorbereitung auf die Adventszeit.

Während es für manche Kinder auf Land geht, gehts für andere in die Kirche, aber so richtig tief. Denn Edgardo wird 1858 aus dem Schoß seiner jüdischen Familie in Bologna geraubt, das aber auf Geheiß des Papstes. Edgardo soll nämlich heimlich getauft worden sein. Und der Pontifex fährt fast wahnhaft eine harte Linie, um alle Schäfchen bei sich zu haben. Wobei dies nicht gerade förderlich für seinen Kirchstaat in Zeiten von Garibaldis Feldzügen ist. Ich hab »Rapito – Die Bologna-Entführung« bei der Viennale gesehen und war doch unerwartet unterhalten wie beeindruckt. Marco Bellocchio (»Il Traditore«) inszeniert gewohnt altmeisterlich ein bild- wie vor allem musikgewaltiges Drama im Herzen der italienischen Geschichte.

Noch gewaltiger, aber wohl etwas weniger genau historisch wird wohl Ridley Scotts »Napoleon«. Apple hat dem einstigen Schöpfer von »Alien« und »Blade Runner«, der zuletzt »The Last Duel« und »House of Gucci« auf die Leinwand brachte, einen Berg Geld gegeben und der Brite hat ein klassisches Wahnsinnsprojekt unternommen. Joaquin Phoenix (»Joker«, »You Were Never Really Here«, »The Master«) spielt den kleinen Eroberer mit dem großen Hut, Vanessa Kirby (»Pieces of a Woman«, »The World to Come«, »Mission Impossible«) seine Kaiserin. Ich fürchte, das wird für Scott ein Russland-Feldzug, aber einige hier kündigten ja bereits ihre Kriegslust an. Eine große Leinwand dürfte sich definitiv lohnen.

Guter Sound wird sich wohl lohnen bei »Maestro«. Bradley Cooper ist nach »A Star is Born« zurück mit einem anderen großen Musikfilm. Diesmal jedoch weniger poppig, denn der titelgebende Maestro ist niemand Geringeres als Komponist und Dirigent Leonard Bernstein. Trotz des Nasen-Skandals im Vorfeld konnte das Biopic in Venedig beeindruckten Applaus ernten und steht vorne im Oscar-Rennen. Nicht zuletzt auch wegen der Stars: Neben Cooper als Bernstein ist Carey Mulligan (»Promising Young Woman«, »She Said«, »Driver«) als seine Ehefrau Felicia Montealerge zu sehen, Maya Hawke (»Stranger Things«, »Do Revenge«, »Asteroid City«) als Tochter Jamie.

Für die, die musisch eher malerisch als musikalisch unterwegs sind, habe ich auch noch einen Animationsfilm in der Hinterhand: »Die Sirene« war eine meiner feinen Entdeckungen in Berlin Anfang des Jahres. Ein iranischer Film, der in den Süden des Landes und den November 1980 reist. Dort wütet der Erste Golfkrieg und gerade Abadan, Schlüsselstadt für die Öl-Industrie, steht heftig unter Beschuss. Fast alle Einwohner sind deswegen auch schon geflohen. Omid ist jedoch einer der wenigen Zersprengten, die geblieben sind. Denn er wartet auf seinen in den Kampf gezogenen Bruder. Doch die Lage spitzt sich immer weiter zu. Rau, aber bunt versucht der Film das nationale Trauma zu packen und schüttelt einen ordentlich durch – mit Erfolg.

Nathalie schrieb während ich diese Zeilen tippe, dass sie lieber zuhause bleiben will, statt Geld fürs Kino auszugeben, daher kommen wir jetzt zu den Streaming-Starts. Ich muss gestehen, dass das primär Titel aus vorangegangenen Monaten sind, aber sei’s drum.

Ein Film startet im Streaming, den ich letzten Monat schon fürs Kino vorgestellt hatte (wo ich ihn auch gesehen habe): »The Killer« von David Fincher. Effizient wie effektiv erzählt Fincher in seiner Comicverfilmung wie ein Auftragskiller einen Auftrag vermasselt und plötzlich selber als überflüssige Spur beseitigt werden soll. Michael Fassbender gibt den eiskalten Profi, der bei der Arbeit permanent The Smiths hört und sich, um unauffälig zu bleiben, als deutscher Tourist verkleidet. In einer Nebenrolle eine vorzügliche Tilda Swinton. Grimmig, cool, überraschend trocken witzig. Das, worum ich Hollywood seit Jahren anbettle: einfach ein No-Bullshit Genrefilm. Dann jetzt zeitnah auf Netflix.

Klammhemlich auf Netflix ist endlich ein Film von 2020 released worden: »Nine Days«. Eine Indieperle, in der Seelen interviewt werden mit der Chance, dass sie eventuell geboren werden. Unter anderem mit Bill Skarsgård (»It«, »Barbarian«), Winston Duke (»Us«), Benedict Wong (»Avengers«, »David Copperfield«) und unserer Frau in Hollywood Zazie Beetz (»Joker«, »Deadpool 2«). Ein bisschen in Ruhe hinsetzen und über das Leben nachdenken.

In Nordamerika auf Netflix, bei uns auf Prime ist ebenso klammheimlich »Emily the Criminal« gestartet. Aubrey Plaza (»Parks and Recreation«, »White Lotus«) will ihren Studienkredit abbezahlen, darf aber aufgrund ihres Strafregisters nicht wirklich arbeiten. Na gut, dann wird man eben richtig kriminell. Und so taucht sie ganz tief in die Unterwelt von L. A. ein. Per Kreditkarte. Plaza soll hier in ihrer besten Nicht-Comedy-Rolle aufblühen und der Film war auf jeden Festival ein großer Publikumsliebling. Lua war schneller als ich, aber mindestens Jasmin hat ihn neben mir auch noch auf der Watchlist.

Und Halloween haben wir auch schon verpasst und ich hab es wegen Viennale auch nicht geschafft, ihn noch reinzudrücken, aber wir haben auch noch einen Horrorstreifen im Ärmel: »No One Will Save You« läuft auf unserem deutschen Lieblingshorroranbieter Disney Plus und hatte tatsächlich einen kleinen Hype. Ich will mich selber gar nicht zu viel über den Plot informieren, aber es geht irgendwie um Aliens und meine geliebte Kaitlyn Dever (»Booksmart«, »Unbelievable«, »Short Term 12«) spielt mit. Sold.

Ihr seht vielleicht, das konnte ich nicht mal eben so nebenbei runtertippen. Verzeiht mir daher bitte die Verspätung. Es dauert halt, aber ich mache es ja immer mit viel Freude. Hilfe hätte ich jedoch immer noch gerne bei der Website. Ich komme halt bei den ganzen einzelnen Filmseiten im Aktualisieren nicht hinterher. Ich schlug ja schon mal Alarm. Lua half einmal letzten Oktober, aber seit dem arbeite ich weiterhin alleine nach. Da ja beim Votum rauskam, dass ihr gerne die Website beibehalten wollt und vor allem auch so in dieser Form, wäre ich SEHR dankbar für Hilfe. Mindestens LB und Lua sollten IT-Zugang haben, also wendet euch gerne an sie, wenn ihr mithelfen wollt. Hartnäckig. Danke.

Wir sehen uns bald wieder, haltet euch tapfer, guckt Filme.

Wiener Grüße mit Schlagobers

Euer JFK-President