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Preview Februar

Es schallt Oh und Ah, der Messias ist da. Ja, ihr hört richtig, ich bin wieder in Allemagne zur Zeit. Ein Monat Semesterferien, bis in Kakanien wieder regiert werden muss. Und zu was für einen Monat ich zurückkehre! Oscarfilme, Festivalhighlights, Liebe, Krieg und Bodenbelag. Hach! Zwei Mankos: Zum einen bin ich den halben Monat über auf der Berlinale und ihr müsst euch selbstorganisieren, zum andern hab ich die Hälfte der Titel schon geguckt. Upps. Aber so kann ich euch umso besser informieren:

Den ersten Film habe nicht nur ich schon auf der Viennale gesehen, Jasmin hat ihn in einer Scala-Spezial-Testvorführung gesehen. »Green Border« ist nämlich ein Film mit viel Diskussionspotential, nicht nur bei Scala-Ommis: Die polnische Altmeisterin Agnieszka Holland geht für ihren neuen Film an die Grenze ihrer Heimat, genauer zu der bei Belarus. Diese dichtbewaldete Region ist ein geopolitischer Schlüsselpunkt, denn dort ist für viele Flüchtlinge jener Breitengrad, der sie nach Europa bringt. Gleichwohl nutzt Diktator Lukaschenko das Nadelöhr für seinen ideologisches Ringen mit der EU. Umgekehrt hat aber auch Polen auf der anderen Grenzseite keine besonders offene und tolerante Politik. So werden die orientierungslosen Migranten durch Büsche, Sümpfe und Stacheldraht geschoben, der Gunst von Grenzsoldaten und humanitären Freiwilligen ausgeliefert. In Venedig ausgezeichnet erzählt das Drama in grimmigem Schwarz-Weiß gleich mehrere Perspektiven, die sich an jener grünen Grenze treffen. Ein Film, der sehr menschlich nah ist, aber schwer wie Blei im Magen liegt. Seine Aktualität und Relevanz markieren sich aber schon daran, dass Polen sich offiziell schon bei der Biennale vom Film distanzierte und die Regisseurin als Nazi beschimpfte. Alleine schon deswegen sollte man mit dem Kinogang Stellung beziehen. Dicke Empfehlung auch von einer geplätteten Jasmin.

Lieber ein bisschen Komfort? Farben? Genießen? Dann hab ich was für euch! Der Vietnamese Trần Anh Hùng ist nach Frankreich gegangen, um dort das zu zelebrieren, was wir im ostasiatischen Kino lieben gelernt haben: Essen. »Geliebte Köchin« erzählt die Geschichte eines Meisterkochs namens Dodin im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhundert, der die hohe Gesellschaft mit seinen Kreationen stetig verzückt. Ihn verzückt aber noch mehr seine Helferin, die schöne, aber vor allem nicht weniger meisterliche Eugénie. Sie liebt es, mit ihm zu kochen und zu leben, lehnt aber seine Verlobungswerbungen galant, aber beharrlich ab. Doch versucht Dodin seine romantische Passion durch seine kulinarische Passion zu artikulieren. Gerade als Eugénie krank wird. Der Film wurde letztes Jahr für vier goldene Schnecken nominiert, einschließlich Beste Regie und Bester Hauptdarsteller, und konnte den Preis für die Beste Kamera mühelos gewinnen. Köstlichst zelebriert der Film die feine Küche, das Dampfen der Töpfe, das Fließen der Saucen, das feine Drappieren und Garnieren. Hochkarätig mit dem echten Paar Benoît Magimel (»Die Klavierspielerin«, »Incredible but True«, »La Haine«) und Juliette Binoche (»High Life«, »Drei Farben: Blau« »Caché«) ist »Geliebte Köchin« nicht nur ein Augenschmauß, sondern auch eine der intimsten Liebesgeschichten des Jahres. Näheres hier.

Eine etwas aufreibender Liebesgeschichte bekommt ihr in »All Of Us Strangers«. Andrew Haigh ist die vielleicht aufregendste Stimme de New British Queer Cinemas und festigt hiermit seinen Status an der Spitze. Andrew Scott (»Sherlock«, »Fleabag« »1917«) spielt einen einsamen, wohlhabenden Homosexuellen, der in einem Hochhausloft am Rande Londons wohnt. Nur ist das Gebäude völlig leer bis auf ihn. Und Paul Mescal (»Aftersun«, »Normal People« »Foe«). Doch kann sich Scotts Figur nicht richtig auf den jungen, ebenfalls einsamen und vor allem ebenfalls schwulen Nachbarn einlassen. Erst muss er etwas klären, mit seinen Eltern. Jedoch mit denen in seinem Alter, jenen seiner Kindheit. So entspinnt sich ein buchstäblich fantastisches Liebes- und Familiendrama, was eigentlich nur aus vier Personen besteht. Das brillante Ensemble bekam eine der vier Nominierungen bei den Goldenen Schnecken, wo der Schnitt die Trophäe auch abholen konnte. »All Of Us Strangers« reißt einen in einen Fiebertraum, der quer gegen alle Regeln der Zeit rauscht, wirft einen in verzerrte Albträume, tranceartige Clubs und intimste Bettszenen. Ich hatte nicht nur wegen dem Fieberschüben an dem Tag bei der Viennale Tränen in den Augen. Kritiker und Publikum bei ihren Höchstwertung wohl auch. Würde spontan einen Top 10 Slot in der Jahresliste vermuten.

Nicht in Wien, dafür vor fast genau einem Jahr in Berlin habe ich »Reality« geguckt. Der Titel spielt nur zur Hälfte auf die Wirklichkeit um uns herum an, zur anderen auf den tatsächlichen Namen einer Frau, die dafür sorgen wollte, dass wir diese Wirklichkeit anders wahrnehmen. Denn Reality Winner (was für ein Name) hat nicht nur einen Nausicaä-Magneten am Kühlschrank, sondern auch den Geheimdienst vor der Tür. Zwei Agenten wollen sie nämlich einmal ganz ungezwungen dazu befragen, ob sie etwas über Geheimdokumente weiß, die aus ihrem Büro verschwunden sind. Es entspinnt sich ein immer engeres, beklemmendes Kammerspiel, dessen messerscharf Dialoge tatsächlich samt und sonders so gesagt wurden. Regisseurin Tina Satter hat nämlich die Originalprotokolle erst für ihr Theaterstück, auf den nun der Film basiert, adaptiert, was ihrem paranoiden Psychodrama einen geradezu vibrierenden realen Terror verleiht. Extrem intensiver kleiner Film über Mut und Whistleblowertum, gerade auch sehenswert für die, die überprüfen wollen, ob »Euphoria«-Star Sydney Sweeney mehr als ihre letzte Netflix-RomCom »Anyone But You« kann. Näheres hier.

Ein anderer sich beweisender Serienstar ist diesen Monat Rhea Seehorn (»Better Call Saul«). Sie spielt nämlich in »Linoleum« mit. Dort erfüllt sich ein gescheiterter Kinder-Wissenschafts-Show-Host seinen Kindheitstraum und baut sich eine Rakete in der Garage. Soweit, so LB. Doch langsam beginnt sich die Realität um den bebrillten Bastler zu zersetzen und es entspinnt sich ein angenehm schräger Film voller Hoffnung, Humor, Tränen, Träume und und und plus eben unsere Emmy-beraubte Lieblingsanwältin. Je weniger man weiß, desto besser vermutlich. Und dann bis zur Unendlichkeit und viel weiter.

Vor den beiden dicken Dingern noch ein weiterer kleiner Streifen, den uns MUBI auf die Leinwände bringt: »Los Colonos« ist ein chilenisches Neowestern-Abenteuer, in den drei Reiter das weiter Land vermessen sollen. Zwischen den malerischen Panoramen Patagoniens und des Atlantiks brütet der Film ruhig und markerschütternd über dem nationalen (wenn nicht gar kontinentalen) Trauma von Kolonialismus, Rassismus und Kapitalismus, wobei der Ausritt unerwartet blutig wird. Man sollte sich vielleicht warm anziehen und nochmal die Aufmerksamkeit mit ein paar Mates wecken, doch dann wartet bei diesem kleinen Release vielleicht einer der unerwarteten großen Filme des Monats. “A Chilean ‘Killers of the Flower Moon’ Companion Piece”, wie es in IndieWire heißt.

Der erwartbarste große Film des Monats spielt jedoch nicht am Rande der uns bekannten Welt, sondern im Zentrum einer uns fremden Galaxis. Drei Jahre haben wir gewartet, eine Verschiebung durch den Streik, jetzt ist er endlich da »Dune: Part II«. Jetzt wird es ernst auf dem Wüstenplaneten, denn die Sandvölker haben ihren wurmreitenden Messias, der gegen den Imperator und seine finsteren Günstlinge ins Feld zieht.Zum großen Cast vom letzten mal gibt es jetzt als Bonus unter anderem noch Christopher Walken, Austin Butler, Florence Pugh und meine angebetete Léa Seydoux. Ich glaube, wer den sehen will, weiß das schon seit drei Jahre und mehr. Wahrscheinlich und hoffentlich eines der großen JFK-Events des Jahres.

Das Beste kommt aber zum Schluss: Seit zehn Jahren warte ich nun auf »The Zone of Interest«, den neuen Film vom großen Visionär des Gegenwartskinos Jonathan Glazer (»Under the Skin«, »Sexy Beast«). Als er sagte, er würde Auschwitz zum Protagonisten machen, war ich unsicher, was ich mir vorstellen soll. Aber laut den Kritikern ist er wie erhofft jetzt schon eines der integralen Meisterwerke des Jahrhunderts. Denn Auschwitz ist hier ein besonderer Protagonist, da es unsichtbar ist. Erzählt wird nämlich die Geschichte des Konzentrationslagerkommandanten nebenan. Wie lebt sich ein Alltag Tür an Tür mit einer Todesmaschine? Kann man sie ausblenden? Was macht das mit einem Menschen? Dem geht Glazer mit seinen Hauptdarstellern Christian Friedel (»Das weiße Band«) und Sandra Hüller (»Anatomie eines Falls«, »Toni Erdmann«) sowie seiner brillanten Stamm-Komponistin Mica Levi (»Under the Skin«, »Monos«) auf den Grund. Traut euch und sei es nur um meiner Willen. Diesen Film hatte ich seit der Gründung der Gruppe im Kopf.

Was für ein Monat. Wenn da nicht jeder mindestens einen, nein: mindestens zwei Titel guckt, dann werden wir dem F in unserem Namen nicht gerecht. Also drückt F und zollt Respekt und erinnert euch in diesem klammen Frühjahrsmonat, warum ihr einem Kinoklub beigetreten seid. Und sei es nur, damit ihr mich mal wieder in Person anspucken könnt, was für einen artsy-arroganten Angeber-Geschmack habe. Das könnt ihr euch nicht entgehen lassen.

Von der Schiene

Euer Gottkaisermessias

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

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