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Preview Mai

Während draußen ein Trommelfeuer von Regen auf mein Fensterbrett drischt, so ist doch eigentlich die Sonne über unserer Hemisphäre aufgegangen. Kurze Hosen werden von Sommerkleiderschößen umwuselt, grünes Gras wird braungebruzelt, Studenten quellen wie Qualquappennester über die Parkflächen unserer Innenstädte. Aber sind wir einmal ehrlich: Was kümmert uns das? Im aklimatisierten Dunkel unseres samtenen Kinosaals schlürfen wir an unserem ASTOR-Begrüßungsdrink und lachen mit vom Luxus prickelnden Lippen über das orientierungslose Völkchen unter dem Feuerball da draußen. Doch dicke Feuerbälle bekommen wir auch auf unserer Leinwand:

Während ihr schon letzten Monat die Abenteuer eines Stuntmans in »The Fall Guy« bestaunt habt, gibt es diesen Monat einen Film, der ein Meisterklassenprodukt dieser Zunft sein wird: »Furiosa« setzt George Millers Action-Saga »Mad Max« fort, diesmal ohne den wilden max in der Mitte, sondern eben die Rebellin, die wir in »Fury Road« kennenlernten. In ihrer Vorgeschichte wird der Outlaw jedoch nicht erneut von Charlize Theron gespielt, sondern diesmal von Anya Taylor-Joy (»Emma.«, »The VVitch«, »Queen’s Gambit«). An ihrer Seite rasen zudem Chris Hemsworth (»Avengers«, »Extraction«) und Tom Burke (»Living«, »The Souvenir«) durch die postapokalyptische Wüste. Alle haben coole Vehikel und sonst nichts zu verlieren außer die Aussicht auf die Macht in der Kriegsfürsten-Einöde. Um es mit »Fire Walk with Me« zu sagen: Let’s Rock! Am besten auf großer Leinwand mit FETTEM Soundsystem. Die Sitze müssen wieder vibrieren.

Der nächste fette Film ist wohl vom Tempo eher das Gegenteil. Denn Nuri Bilge Ceylan ist nun einmal als der große Romancier des türkischen Kinos bekannt und seine Werke sind entsprechend wortreich. Jedoch ist besonders sein neuer Film »Auf trockenen Gräsern« gar nicht so sperrig, sein wohl am wenigsten radikaler bislang. Denn das Drama ist ziemlich spannend und wendungsreich. Etwas stimmt nämlich nicht in dem schneeverwehten Dorf, in das der Lehrer Samet zurückkehrt. Vielleicht ist es auch nicht die zerklüftete Gemeinde, sondern er. Jedenfalls entsteht durch die Unzufriedenheit miteinander Reibung. Zwischen ihm und den Schülern, zwischen alten Freunden, zwischen neuen Affären. Doch die allgemeine Festgefahrenheit des Kaffs scheint auch keinen Ausweg zuzulassen. Bis ein junges Mädchen eine Anschuldigung erhebt. Dieses junge Mädchen ist nur eine großartige Darstellerin in diesem großartigen Ensemble, dass drei Nominierungen bei den Goldenen Schnecken erhielt und eine Auszeichnung in Cannes abgreifen konnte. Ihr Schauspiel und die malerisch weiten Bilder machen diesen zugegebenermaßen langen Film zu einem fesselnden Vexierspiel von Machtspielen, Intrigen und der Suche nach etwas menschlichen Glück in bitterster Kälte. Ich habe den Film bei der letzten Viennale als letzten Film von fünf an dem Tag gesehen und ich wurde nicht umgewalzt, sondern war vollkommen belebt und erfrischt, weil dieses große Werk sich so vollständig, so makellos, so lückenlos erzählt, dass es sich wie die Entdeckung eines Klassikers anfühlte. Ich stand an der U-Bahn-Station und dachte: Ja Mann, das war Kino, in wie ich es mich damals verliebt habe.

Etwas plättender war der ebenfalls sehr lange neue Film von Radu Jude, der an dem Tag ebenfalls der letzte nach einem langen Tag war. Nach seinem Berlinalegewinner »Bad Luck Banging or Loony Porn« ist der wahnwitizige rumänische Satiriker zurück mit einem weiteren wortreichen Titel: »Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt«, der auch sein mit fast drei Stunden dickster Film ist. Und einer seiner besten. Ganz kurz: Eine Frau fährt durch Bukarest und castet invalide Arbeiter*innen für ein Unternehmens-Werbevideo. Was es kompliziert macht: All das Drumherum. Rumänische Taxifilmklassiker, Andrew-Tate-Parodie-TikToks, Landstraßenunfallgräbercollagen, Rückbanksex, ein Uwe-Boll-Cameo. Ich habe mal versucht, zu ordnen, was da grob los ist, aber letztendlich muss man es wohl selber entdecken. Und selbst dann ist es noch unfassbar. Unfassbar witzig, unfassbar albtraumhaft und eben doch ganz banal nebenan. Der Ostblock halt.

Den bekommt ihr leider nur auf MUBI, nicht auf der Gartenbaukinoleinwand, sorry. Aber gemeinsam online können wir »Are You There God? It’s Me, Margaret« gucken. Was ganz Harmloses: die kleine Coming-of-Age-Geschichte einer 11-Jährigen in einem US-Vorort, in den Rachel McAdamas (»Mean Girls«, »Wie ein einziger Tag«, »Spotlight«) mit ihrer Tochter zieht. Kathy Bates (»Titanic«, »Der Fall Richard Jewell«) und Benny Safdie (»Oppenheimer«, »Licorice Pizza«) schauen auch nochmal rein. Großer Kritikerliebling, warmherzig, eloquent und erfrischend. Und auch unter drei, sogar unter zwei Stunden.

Für unseren letzten Film gehen wir nochmal zurück auf die Leinwand, obwohl er von Netflix ist. Denn endlich kommt »May December« nach Deutschland. Ich hatte dieses kleine Meisterwerk schon einmal letztes Jahr angekündigt und jetzt auch eine jubelnde Kritik geschrieben, aber nochmal kurz: Natalie Portman (»Léon der Profi«, »Star Wars I-III«) spielt eine Schauspielerin, die eine Boulevardpresse-Legende in einer kommenden Produktion verkörpern soll. Jene berüchtigte Legende ist Julianne Moore (»Boogie Nights«, »The Big Lebowski«) , deren Figur mit einem Schuljungen eine Affäre hatte, schwanger von ihm ins Gefängnis ging und nun seit Jahren mit ihm zusammenlebt, obwohl er altersmäßig ihr Sohn sein könnte. Aiaiai. Herrlich unangenehm seziert Todd Haynes (»Carol«, »Dark Waters«) in dieser Psychodrama-Komödie die überspannten Heuchler der amerikanischen High Society, hat aber bei aller Befremdung auch viel Mitleid mit diesen armen, kapriziösen Seelen. Nicht warten, bis er ins Streaming kommt, sondern auf großer Leinwand die kleinen fiesen Details genießen!

Nicht viele Filme, aber toller Monat, muss ich sagen! Es kommt auch nochmal »Robot Dreams«, den aber die meisten auch schon gesehen haben, aber kann man den vielleicht besten Animationsfilm des Jahres nicht nochmal schauen? Jedenfalls gibt es genügend Gründe zur Flcuht aus dem Sonnenlicht, fort vom Pesthauch der schwülen Schweißluft. Bah. Da lob ich mir doch den Geruch des Scala-Popcorns!

Hochachtungsvoll von der Ostfront, nahe beim Mittelmeer (fast)

Euer JFK-President

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

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