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Preview Januar

Der Dezember ist vorbei, das Jahr mit den vielen Zweien ebenso. Eine zertrümmerte Schokoweihnachtsmannvisage guckt noch aus der Mundluke, Plätzchenkrümel verfangen sich in Strickpullovermaschen, im Frohes-Neues-Prosecco ertrinkt ein Fliegenquartett. Aus dem Fress- und Saufkoma erwachend stößt man die lästigen Familienanhängsel von der Balkonbrüstung, gurgelt nochmal mit der Goldkrone nach und stolpert rein in 2023. Tür auf und… eine Lawine von Neustarts und Ereignissen verschüttet einen. Am Boden liegend kreisen die kommenden Top-Ereignisse des Jahres um den geistigen Augapfel:

Der Compact of Free Association zwischen den USA, Mikronesien und den Marshallinseln läuft aus.

50-jähriges Jubiläum des Leichtathletik-Verbandes Nordrhein.

300. Todestag des niederländischen Naturforschers Antoni van Leeuwenhoek.

100 JAHRE LORIOT

Man öffnet die fleischligen, verquollenen Lider, rappelt sich auf und beginnt die Treppe des Jahres runterzufallen. Und die sind die Stufen vom 12. in den 11. Stock hinunter:

Und wir starten gleich mit einem Highlight rein. Ausgezeichnet in Venedig, nominiert für vier Goldene Schnecken (Bestes Originaldrehbuch, Bester Nebendarsteller, Beste Nebendarstellerin, Bestes Ensemble) kommt Martin McDonagh nach seinen Oscar-Erfolg und frühen Team-Scala-Klassiker »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« mit einem Triumph auf Irisch zurück. Für »The Banshees of Inisherin« vereint er sein Hauptdarsteller Duo aus »Brügge sehen… und sterben?« Colin Farrell (Goldene Schnecke für »The Killing of a Sacred Deer«) und Brendan Gleeson (»Paddington 2«, »Harry Potter«). Farrell wird zudem auch noch mit Barry Keoghan wiedervereint (ebenfalls Goldene Schnecke für »The Killing of a Sacred Deer«), hinzu kommt noch eine furiose Kerry Condon. Diese brillanten Darsteller spucken einander feingeschliffenste Dialoge in breitestem Irisch an den Kopf, wodurch der letzte, verbale Hauptdarsteller dieser tiefschürfenden schwarzen Komödie geboren wird (Warnung: Wer diesen Film nicht im Original guckt, ist nicht berechtigt eine Genusspunkt-Wertung abzugeben und riskiert eine JFK-Suspension für eine offene Zahl an Wochen. Dies ist kein Scherz. Ich mache keine Witze, wenn es um Leben und Kino geht. Die sprechen in der Synchro den Namen der fucking Insel falsch aus.). Und das alles nur, weil einer den Erik macht und sagt, dass er von einem Tag auf den anderen nicht mehr mit dem ehemaligen besten Freund nichts mehr zu tun haben will. Er sei zu langweilig. Ersterer könne es sich nicht mehr leisten, so viel Lebenszeit zu verschwenden. Für alle, die »EO« verpasst haben: Es gibt auch hier einen prägnanten Esel, der Farrell am Set mehrfach angegriffen hat. Euphorische Stand Ovations in Venedig.

In Hamburg lief dafür »In der Nacht des 12.«. Wurde schon 2022 von Abgesandten des Filmklubs gesichtet und für die Jahresliste eingetütet, aber man guckt ja nicht nur für die Luxusburger-Jahresendauswertung. Zumal wenn es brennende Französinnen gibt!!! (!!!!!!). Der Kriminalthriller behandelt nämlich den Fall einer jungen Frau, die auf dem Heimweg von einem Unbekannten in Brand gesteckt wird. Klassisches Genrekino vom Thrillerexperten Dominik Moll (»Die Verschwundene«). Großer Daumen hoch von Lua, Review für Genaueres von mir.

In Cannes kam keiner von der illustren Filmfangruppe rein, dort lief aber »Acht Berge«. In der italienischen Romanverfilmung erzählt von der Freundschaft zweier Männer in der Abgelegenheit eines einsamen Bergdorfes. In der Hauptrolle glänzt unter anderem Luca Marinelli (»Martin Eden«), hinter der Kamera zeichnet sich Felix Van Groeningen verantwortlich, Regisseur vom ersten JFK-Film unseres COOs, »Beautiful Boy« (so hieß der Film, nicht nur den COO ruft man so). Eine physisch wie psychisch massive Erfahrung in großen Bildern.

Wie der Name es eben schon vermuten ließ, ist Felix Van Groeningen kein Italiener, sondern Belgier. Ein ähnliches Länderverwirrspiel ereignet sich beim dänischen Oscarkandidaten »Holy Spider«, mit dem Autorenfilmer Ali Abbasi nach seiner schwedischen Troll-Romanze in seine iranische Heimat zurückkehrt. Ausnahmweise mal kein Moraldrama, sondern ein True-Crime-Thriller. Erzählt wird der Fall des “Spinnenmörders”, der zu Beginn des Milleniums 16 Frauen das Leben nahm. Bei ihren Ermittlungen muss Journalistin Rahimi feststellen, dass die Gesellschaft aber anscheinend gar kein großes Interesse daran hat, dem Killer auf die Pelle zu rücken.

Ihr habt kein Bock auf schon wieder Nah-Ost, schon wieder Schmutziges, schon wieder Not und Elend? Dann hab ich das Gegenteil für euch: eine große Party namens »Babylon« (benannt nach einer Stadt aus dem heutigen Irak). Damien Chazelle bläßt nach »Aufbruch zum Mond« endlich wieder in die goldenen Trompeten, die er in seinen jazzigen Hollywooderfolgen »La La Land« und »Whiplash« schon so virtuos bließ. Diesmal mit den Betonungen Gold und Hollywood. In die Golden 20s der Traumfabrik reist Chazelle in seiner ausufernden Dekadenz-Satire, mit in der 1. Klasse sitzen Brad Pitt, Margot Robbie und Tobey Maguire. Ein cinematorische Exzess im größten Grandeur, über drei Stunden, sehr kontroverse Rezeption bei Publikum wie Kritik. Wer Bock auf Kino wie Caligula und Nero es gefeiert hätten Bock hat, kann sich gleich schon mal ein Dutzend Tickets lösen.

Gehen wir viiiiiiiiiieeeel kleiner im Maßstab. Stand-Up Comedian B. J. Novak hat eine kleine Krimikomödie mit Cowboyhüten gemacht. Irgendwo läuft Ashton Kutcher durchs Bild. Im Deutschen heißt es laut Verleih nicht “I am »Vengeance«“, sondern “Ich bin »Rache auf Texanisch«“. Ein schöner kleiner Spaß für zwischen durch.

Gar kein Spaß soll dagegen »The Son«. Florian Zeller adaptiert nach »The Father« wieder eines seiner Stücke für die Leinwand, diesmal geht es nicht um Demenz eines Alten, sondern Depressionen eines Jungen. Anthony Hopkins wankt erneut durch den Hintergrund, vorne stehen jedoch Hugh Jackman (»X-Men«, »Prisoners«) und Laura Dern (»Jurassic Park«, »Wild at Heart«) plus Vanessa Kirby (»Pieces of a Woman«). Erneut ein emotionales Dialogdrama, vor allem hier aufgenommen, durch den großen Luxusburger für »The Father«, wobei mich jedoch David Ehrlichs Beschreibung “emotionaler Pornographie” ziemlich abgeturnt hat.

Deutlich mehr Bock habe ich schon auf »Close«, der immer wieder unter den besten Filmen 2022 gelistet wurde. Der Belgier Lukas Dhont kehrt nach seinem einfühlsamen Trans-Coming-of-Age-Drama »Girl« mit einer weiteren Jugendgeschichte zurück. Diesmal zweier Jungen, die an der Schwelle zur Adoleszenz merkten, dass irgendetwas in ihrer unschuldigen, vertrauten Kinderfreundschaft nicht mehr stimmt. Ohne große Theatralik reiben sich intensivste Freundschaft und intensivste Einsamkeit aneinander. Rauschend durch belgische Blumen, traurig, zärtlich und rasant steht mit »Close« jetzt schon ein Jahresfavorit vor der Tür.

Nachdem wir uns nun fast ausschließlich um die Probleme priviligierter Weißer gekümmert haben (und was auch immer Iren sind), kommen wir zum Black Cinema, welches der umjubelte »Till« für die kommende Oscarsaison bereichert hat. Im Zentrum steht der Mord an einem afroamerikanischen Teenager, auf den der Mob in Mississippi Mitte der 50er los ging, mit der Beschuldigung, er hätte mit einer weißen Frau geflirtet. Die Mutter des gelynchten Emmet will Gerechtigkeit. Mamie Till-Mobleys Kampf gilt als zentraler Impuls für das Entstehen der Bürgerrechtsbewegung in den USA.

Noch einmal rüber vom Westen in den Osten. So geht’s auch für Freddie, eine Französin in der Mitte ihrer 20er, die das erste Mal in ihr Geburtsland Südkorea heimkehrt. Doch entfaltet sich die Suche nach ihren leiblichen Eltern in der Seouler Metropole als Chaos. Der begnadete kambodschanisch-stämmige Regisseur Davy Chou konnte mich schon mit seinem minimalistisch-stilisierten »Diamond Island« begeistern, sein neuer Film »Return to Seoul« galt als der geheime beste Film des Jahres 2022.

Als chaotischen Geheimtipp hatte unsere Auslandskorrespondentin Lina im vergangenen Jahr zudem »Petrov’s Flu« abgespeichert. Das Chaos entsteht hier im Leben eines Comiczeichners, der im Post-Sowjet-Russland fieberkrank in eine Welt der Halluzinationen abdriftet, wo die Realität immer weiter zu verschwimmen scheint. Diese Romanverfilmung ist fast schon politisches Pflichtprogramm, ist es doch einer der neuen Film vom ultra-produktiven russischen Exilanten Kirill Serebrennikov, Gott sei Dank nicht mehr in Putins Gefängnissen weggesperrt. Darüber hinaus ist Serebrennikov aber auch noch berühmt-berüchtigt für seine nie versiegenden filmischästhetischen Innovationen. Und das bei einem Theatermann! Von Lina jedenfalls (wenn auch verwirrt) gegreenlightet.

Zurück auf der großen Leinwand, gleich am ersten Dienstag des neuen Jahres: »Rambo«. Ballern.

Zum Streamen: Auf Disney+ gibt es die viel gelobte Dokumentation »The Territory« über den Überlebenskampf des indigenen Uru-Eu-Wau-Wau-Volkes im Amazonasgebiet, bedroht von der fortschreitenden Abholzung ihres Lebensraumes. Daher interessant, da der Film teilweise von den Uru-Eu-Wau-Wau selbst gedreht wurde. Für die Augenmenschen: Große Dschungelbilder!

Ihr seht, auch im neuen Jahr gibt es keine Pause. Jede Menge Freunde, Politk, Morde, Saufen, Ballern. Ganz normales Wochenende in FFO, in Kaltenmoor oder dem mittelhessischen Kirch Göns, unweit von Lang Göns (2-Uhr-Nachts-Regionalzug represent). Auch im neuen Jahr muss mit der Dezentralisierung gekämpft werden, doch egal ob Halle, Holland oder Mannheim, informiert euch, knüpft Kontakte, bildet Banden. Wir geben euch alle nötigen Daten, Materialien und zur Not angemietete Begleiter. Baumannconsulting is always by your side. Wer hier noch liest, kann gerne zeigen, dass in der Umfrage nicht nur just for fun die Deluxe-Preview gefordert wurde und jetzt in die Kommentare schreiben, auf welchen Film die Dame oder der Herr sich am meisten freut. »Barbie«? »Dune 2«? »Oppenheimer«? Oder doch der neue vierstündige Dialogkracher vom türkischen Arthouse-Großmeister Nuri Bilge Ceylan (WHOOOP WHOOOOOOP HYPE TRAIN)?

Egal was kommt, Baumannconsulting wünscht Ihnen eines cinematorischen Start ins neue Jahr

Partissement.

Ihr J.C., JFK-President

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

6 replies on “Preview Januar”

Weil diese Antwort passiv-aggressiv gegen mich persönlich gerichtet ist.

Auch wenns kein Film ist und schon direkt zum Jahresanfang kommt: Copenhagen Cowboy (NWR <3)

Ich sehe Oppenheimer als gute Preview für zukünftige Baucons-Investment-Opportunities.

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