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Preview April

Nach dem mageren Februar wurde ein fetter März prophezeit, fiel in den Besucherzahlen doch schlanker aus als gedacht. Nun aber kommt der April, richtig rund und saftig, sodass er kaum noch gehen kann und nur so über uns rüber rollt. Mit Comedy und mit Horror, mit Arthouse und mit Animation. Und Nicolas Cage.

Wir steigen erstmal mit dem ein, mit dem wir den letzten Monat beendet haben: Französisches Festivalkino. Und zwar mit richtigen JFK-Shooting-Stars! Denn »Wo in Paris die Sonne aufgeht« ist der neue Film von Jacques Audiard (»The Sisters Brothers«), Drehbuch von Céline Sciamma (»Porträt einer jungen Frau in Flammen«, »Petite Maman«) und in der Hauptrolle Noémie Merlant (»Porträt einer jungen Frau in Flammen«). Diese Drei gestalten einen energetischen Schwarz-Weiß-Trip durch Paris, der sich episodisch durch das Studien-Sex-Nebenjob-Leben junger Franzosen hangelt. Erfrischend, unpräteniös, pulsierend vom orientierungslosen Realismus des Lebens. Bester Soundtrack in Cannes, Bester Film beim Filmfest Hamburg.

Auch auf dem Filmfest Hamburg konnte unser Hanse-Korrespondent Lua schon im vergangenen Jahr »Red Rocket« sichten können und war begeistert. Sean Baker (»The Florida Project«) taucht zum vierten Mal in die Welt der Erotikdarsteller, Stripper und Prostituierten ein, diesmal mit Ex-Pornostar Mikey Saber, fulminant gespielt von Simon Rex. In superkörnigen 16mm Bildern entfaltet sich ein buntes, abgerocktes Texas, in dem der ausrangierte Erwachsenenfilmstern strandet, um wieder mit seiner dyfunktionalen Familie anzuknüpfen. Nur wird der emotionale Spannungsabbau herausgefordert, als Mikey Strawberry kennenlernt, die Pornostar werden will. Eine schillernd-lebendige US-Indie-Perle, die ähnlich wie PTAs jüngstes Meisterstück »Licorice Pizza« durch seine Beziehung zwischen einer Minderjährigen und einem Mittvierziger sicher auf Instant-Cancel-Nölen treffen wird, aber von Käptn Lua gibt es eine dicke Empfehlung.

Kinder in Gefahr gibt es noch massiver in »The Innocents«. Ein skandinavischer Überraschungshit der letztjährigen Festivals, über den man, wie es heißt, möglich wenig wissen sollte. Vier Kinder spielen im Sommer und, naja, dann passieren Dinge. Der Drama-Mytery-Horror-Mix soll ziemlich an die Substanz gehen, aber auch mit sehr genauem Blick in die unbequeme, fragile und doch raue Welt der Kinder eintaucht. Selber Drehbuchautor wie »Thelma«.

Es endet nicht mit den Gören, wir ziehen aber vom kühlen Norden Norwegens runter in den sandigen Tschad. Mahamat-Saleh Haroun, einer der bedeutendsten Filmemacher Afrikas, hat es mit »Lingui« dankenswerterweise in die deutschen Kinos geschafft und es ist nach »Das Ereignis« gleich das nächste Abtreibungsdrama, auf das wir uns freuen dürfen. Denn die alleinerziehende Mutter ist mit ihrer vergewaltigten und nun schwangeren 15-jährigen Tochter konfrontiert in einer streng islamischen Gesellschaft, wo Abtreibungen für Frauen mehr als nur ein Tabu-Thema sind. Haroun hat ein Händchen für harten, aber sehr empfindsamen Realismus, was die internationale Kritik in Cannes (aber auch Hamburg!) auch hier wieder überzeugen konnte.

Bevor wir nun richtig auf die Kacke hauen noch ein weiterer kleiner Film, dessen Trailer bei der Sichtung von »C’mon C’mon« entdeckt wurde: »Die wundersame Welt des Louis Wain« erzählt die Geschichte des titelgebenden Katzenmalers im London des ausgehenden 19. Jahrhundert, verkörpert von Benedict Cumberbatch. Mit dabei sind unter anderem auch noch Claire Foy (»First Man«), Andrea Riseborough (»Possessor«) und Toby Jones (»First Cow«). Wohl ein erzählerisch eher konventionelles Künstlerporträt mit irritierenden CGI-Kätzchen, aber der buchstäblich malerische Look des Filmes konnte schon beim Trailer sofort in hypnotisierte Ekstase versetzen. Nimmt man mal mit. Oder auch nicht.

Wo ich auch erst dachte “Oder auch nicht” war bei »Massive Talent«, doch konnte dieser neue Film von Nicolas Cage die höchste Rotten-Tomatoes-Bewertung seiner ganzen Karriere erreichen: 100%. Dazu musste er aber auch zu seiner bisher aberwitzigsten Figur greifen: Nicolas Cage. Ja, er spielt sich selbst, wie er jetzt eigentlich auf einen Karriereneustart durch eine Rolle bei Tarantino hofft, doch die zerüttete Familie plus die Schulden bedrücken den ausgebleichten Star schwer. Immerhin Letzteres scheint jetzt aber etwas Erleichterung zu erfahren, als ihn ein Milliadär für einen sauber entlohnten Partyauftritt anwerben will. Doch die Sache verläuft anders als gedacht. Eine haarsträubende Meta-Reflexion vom üblichen Cage-Nonsens, der vermutlich wohl gerade durch seine bittere Selbstironie gepaart mit dem gewohnten Wahnsinn richtig Spaß machen dürfte. [Korrektur: Der Film wurde überraschend auf Ende Juni des Jahres verschoben.]

Gewohnt sind wir Wahnsinn auch bei Robert Eggers (»The VVitch«, »Der Leuchtturm«), doch diesmal scheint er völlig am Rad zu drehen. Er hat die Leuchtturminsel verlassen und ballert jetzt mit »The Northman« ein Wikinger-Rache-Epos irgendwo zwischen blutrünstiger Härte und phantasmagorischem Mythologie-Mash-Up, ergo ein ganz dickes Ding raus. Wenn im Trailer jemand einen Speer fängt und zurückwirft, bekomme ich schon ein wenig Angst, dass das alles etwas zu drübber werden könnte. Drehbuch wurde von Eggers selbst und dem »Lamb«-Autor verfasst, was auch gemischte Erwartungen bei mir weckt. Aber die gewaltigen Bilder und der Cast, sowie den Kredit, den Eggers mit »Der Leuchtturm« bei mir erworben hat, zwingen mich unweigerlich rein. Und wenn Eggers, eine der vermutlich vielversprechndsten Newcomer des Gegenwartskinos, ruft, dann kommen sie alle. Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Ethan Hawke, Nicole Kidman, Claes Bang, Willem Dafoe und Björk (!!!).

Aber was fürchten die TikTok-MCU-Fans das Wort “zu viel”? Ohne wild blinkende Multiversen, deren Crossreferenzen sich mindestens durch 3 Zeitebenen ziehen, während der Algorithmus einen die CGI-Flutwelle ins Gesicht kotzt, löst man ja gar kein Ticket mehr. Dafür kommt übernächsten Monat ja auch der neue »Dr. Strange«. Aber es gibt auch eine multiversetastische Alternative. Nach »Swiss Army Man« kommen die Daniels nun mit einem weiteren A24-Experiment zurück, zusammen mit Michelle Yeoh (»Tiger & Dragon«), die beim Weg zur Steuersachbearbeiterin plötzlich durch die Dimensions-Drehtür stolpert. »Everything Everywhere All at Once« ist irgendwo zwischen Persiflage, Hommage, Liebeserklärung und Steroidversion vom Multiversehype, vollgestopft mit Style, Martial-Arts-Action, Slapstick-Humor, Planetencrashs und dreißigtrilliarden Identitäten. Und Wackelaugen. VIELEN Wackelaugen.

Nachdem wir jetzt im Kickdown waren, schalten wir mal ein paar Gänge zurück, obwohl wir ins Land der unbegrenzten Geschwindigkeiten einkehren: Deutschland. Dort, genauer in Bremen (fucking Bremen), ereignete sich nämlich in den jungen 2000ern etwas überaus Bemerkenswertes. Eigentlich ist die türkischstämmige Hausfrau Rabiye Kurnaz schon verzweifelt genug, weil ihr Sohn Murat überhaupt verhaftet wurde. Doch sitzt er nicht in der JVA Plötzensee ein, sondern, wie ihr der Anwalt erklärt, in Guantanamo, weil man Murat einer Beteilgung an 9/11 bezichtigt. Und ehe sie es sich versieht, klagt Rabiye Kurnaz mehr oder weniger aus Versehen gegen George W. Bush. Der von mir sehr geschätzte Andreas Dresen konnte für seine Adaption dieser wahren Geschichte auf der Berlinale für das Beste Drehbuch ausgezeichnet werden, ebenso Meltem Kaptan für die Beste Darstellerin. Nach dem JFK-Erfolg »Curveball« sollte »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush« schon doch für den einen oder anderen ein reizvoller Titel sein.

Ebenfalls deutschsprachig aber etwas alpiger wird es in »Luzifer«, einem kleinen Horror-Psychodrama aus den Bergen. Schauspielerisch stark wurde der Genremix mit religiösen Wahn, Fantasyambitionen und Slowburn-Chills zum kleinen Festivalhit. Gerade der mehrfach für die Goldene Schnecke nominierte Franz Rogowski soll wie gewohnt mit voller Kraft brillieren.

Und was kommt zum Ende? Genau: Tod und Demenz. Skandalregisseur Gaspar Noé (»Climax«) ist zurück mit einem unerwartet ruhigen und intimen Film. In »Vortex« geht es um ein altes Ehepaar in einem engen, verwinkelten Pariser Apartment, deren Alltag sich zunehmend durch eine Alzheimererkrankung zwischen den Kinoplakaten des Filmjournalisten Ehemanns und finsteren Albträumen verläuft. Also mal wieder richtig gute Laune, wie immer bei Noé. Nach »The Father« als Lieblingsfilm des Klubs im letzten Jahr wohl doch absolute Pflicht.

Das war es mit dem Kino, aber das war es noch nicht mit den massigen Muskel-Monat. Wir schwenken rüber zum Streaming. Auf Netflix bekommen wir nämlich Judd Apatows neue Komödie »The Bubble«, mit der er diesmal, natürlich stargespickt, die Blockbuster-Filmproduktion, zumal unter Coronabedingungen, durchleuchtet. »The King of Staten Island« zeigte zuletzt erneut, dass der Mann clevere Comedy in Überlänge kann, schön schräge Charaktere zu erfinden weiß und plumpe Albernheit mühelos umsegelt. Nicht der übliche Netflix-Rotz, trotz grünem Schleim.

Auch nicht das Übliche für seinen Streamingdienst ist der auf Disney Plus startende »Fresh«. Auch hier gilt wohl, weniger zu wissen ist mehr. Wohl ein ziemlich wilder Genremix von Romcom bis Psychohorror in der Welt des Datings, bei dem nach 30 Minuten erst der Filmtitel eingeblendet wird. Konnte als kreativer Geheimtipp einen kleinen Hype in den vergangegen Wochenen auflösen, nachdem er in Übersee auf Hulu startete. Schön blutiges Steak zum Sofa-Snack.

Nicht so blutig wird wohl »Apollo 10 ½«, der neue Animationsfilm von Richard Linklater (»Boyhood«). Erneut real gedreht und dann mit Linklaters eigener Technik übermalt, ergibt sich ein sehr eigener visueller Stil. Nicht ganz unpassend für diese skurille Geschichte über ein Kind, dass während des Apollo-Programms von der NASA für eine Weltraummission rekrutiert wird. Sowohl bei Publikum als auch Kritikern sehr beliebt, kommt er gleich zum Monatsbeginn auf Netflix.

Ich hoffe, dass dieses Monatsprogramm etwas mehr begeistern kann als das letzte. Ein bunter Mix auf allen Tempo- und Lautstärkestufen. Eine optimale Gelegenheit, um fleißig Stempel zu sammeln.

Herzlichst

Ihr JFK-Präsident

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

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