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Preview Oktober

Obwohl wir dieses Jahr eh nur ein halbes Kinojahr hatten, beginnt jetzt schon langsam der Endspurt. Theoretisch ist es das letzt Quartal, praktisch ist es die zweite Hälfte. Jetzt heißt es eigentlich: Einheizen! Wobei, der Kamin wird erst später richtig zum Lodern kommen. Dennoch schüren wir jetzt schon mal die Glut und wie das so ist, sprühen auch da mal ganz hübsch die Funken. Noch besser: Es gibt zwei richtige Stichflammen, die sich mal eben den Weg zur Jahresspitze freibrutzeln könnten. Also, dreht den Herd auf, heizt den Ofen an, kippt Spiritus rein, der JFK kehrt vielleicht zu seiner Spezialdisziplin zurück: Français flambé!

Die Zeichen für den brennenden Franzmann stehen nämlich optimal beim diesjährigen Cannes-Gewinner »Titane«. Nach ihrem Kannibalen-Körperhorror-Hit »Raw« ist Julia Ducournau zurück und schaltet einen Gang höher. Buchstäblich: es geht um Autos. Und Sex mit Autos. Um Motorenöl-Maschinenteil-Mutanten, mysteriöse Morde und wilde Genderidentitätsturbulenzen. Und das Beste: Feuerwehrmänner (können wir Erik reaktivieren???). Und das Allerbeste: Vincent Lindon (bekannt als Bezinduscher aus »Streik«) ist einer der Löschprofis. Also: es wird schön rauchig, fleischig, hitzig, saftig. Ein guter Grillnachmittag mit Freunden. Bei so einem hyperstylishen Genrekaleidoskop auf Film-des-Jahres-Kurs grillt Baumannconsulting trotz Teslaflotte wieder mit Rohöl.

Trailer zu »Titane«

Etwas reineres Genrekino gibt uns der Nachbar mit den Langbroten und Traubensäften aber im Oktober auch noch. »Die Verschwundene« könnte jetzt erstmal ein beliebiger Rowohlt-Ramsch-Thriller sein, aber der Originaltitel »Seules les Bêtes«, also »Nur die Bestien« hat dann schon mehr Biss. Mitten im Schnee verschwindet hier eine Frau, so spurlos, dass die Polzei bald aufgibt. Fünf Hinterbliebene sind dazu jedoch nicht bereit, gerade weil sie wittern, dass einer von ihnen Schuld hat. Dominik Moll, der nicht zuletzt mit »Lemming« einen der originellsten Psychothriller 2000er ablieferte, konstruiert den Film hier als non-lineares Rätsel, das seine raffinierte Spannung gerade aus seiner subtilen Unabwägbarkeit gewinnt. Kleines, kluges, kaltblütiges Genrekino, so fein, wie es eben nur die Franzosen können.

Trailer zu »Die Verschwundene«

Ebenfalls frostig wird es in »The Last Duel« . Zwischen verschneiten Burgen kommt es zum Duell. Der Grund: die Frau eines Ritters beschuldigt einen anderen, sie vergewaltigt zu haben. Die Männer wollen dies nun im Kampf um Leben und Tod klären, doch dabei geht es vielmehr um die Frage der Ehre als um die eigentliche Frau. Zumal sie, sollte ihr Mann verlieren, als Lügnerin entlarvt hingerichtet wird. Ridley Scott (»Blade Runner«, »Alien«, »Gladiator«) hat das Mittelalterepos irgendwie parallel zu seinem »House of Gucci« hingezimmert und wartet mit beeindruckenden Namen auf. Die alten Kumpels Matt Damon (»Good Will Hunting«, »Stillwater«, »Bourne«-Trilogie) und Ben Affleck (»Argo«, »Gone Girl« ) haben sich nicht nur aufs Schauspielerparkett begeben, sondern auch wie damals bei ihrem Oscargewinn »Good Will Hunting« das Drehbruch verfasst. Aber um alle vernünftigen Menschen zu überzeugen: Adam Driver, Preisträger der Goldenen und Platinen Schnecke, ist dabei. Nuff said. Wobei man vielleicht auch noch ein paar damit abgreifen kann, dass die Musik vom »Shrek«-Komponisten ist. Die Kritiken bejubeln es nun nicht als Meisterwerk, sind aber auch weit weg vom Volldesaster. Außerdem muss man wohl das sehen, was der Guardian als die häßlichsten Frisuren des Kinojahres bezeichnet.

Trailer zu »The Last Duel«

Auch mitnehmen aus alter treue muss ich wohl »Cry Macho«. Es ist der x-te Abschiedsfilm vom Kinodinosaurier Clint Eastwood (»The Mule«, »Der Fall Richard Jewell«), der mit seinen mittlerweile 91 Jahren nicht nur im Regiestuhl sitzt, sondern auch wieder die Hauptrolle übernimmt. Der vierfache Oscargewinner verkörpert wieder eine seiner klassischen Figuren, diesmal einen alternden Rodeostar, der einen jungen Mann aus Mexiko nach Hause holen soll. Also bisschen »The Mule« meets »Gran Torino«, also typisch Eastwood. Sicher keine cinematorische Offenbarung, aber sicher herzlich, klassisch und oldschool. Also quasi auch voll cool.

Trailer zu »Cry Macho«

So, Schluss mit dem Rumgeklecker. Klotzen wir mal mit dem höchstwahrscheinlichen Film des Jahres ran: endlich, endlich, endlich kommt »The French Dispatch«. Halleluja. Der neue Film von Wes Anderson (»Grand Budapest Hotel«, »Moonrise Kingdom«, »Isle of Dogs«) ist endlich zurück mit seinem neuesten Wunderwerk. Diesmal entführt uns der Meister der filmischen Wimmelbilder in die europäische Journalismuswelt. Für eine Jubiläumsausgabe sollen dort nun die drei besten Geschichten der letzten Dekade veröffentlicht werden, was der Film in drei stilistisch völlig unterschiedlichen Episoden arrangiert. Es kann alles passieren. Zumal mit dem Cast, der selbst ein »Dune« wie ein Low-Budget-Starvehikel aussehen lässt. Bill Murray, Benicio del Toro, Frances McDormand, Jeffrey Wright, Adrien Brody, Tilda Swinton, Timothée Chalamet, Léa Seydoux und Saoirse (*sehnsuchtsvoller Seufzer*) Ronan. Und das sind nicht mal alle A-Lister. Wenn Wes ruft, kommen alle und das für die gewerkschaftliche Midestgage. Wer Mr. Anderson mit seinem exzentrischen Humor und seinen detailverliebten Sets kennt, weiß warum. Wer nicht, dessen heilige Pflicht ist es, jetzt endlich zu entdecken. Wer nicht mitkommt, Hurensohn.

Trailer zu »The French Dispatch«

Deutlich reduzierter, aber gar nicht so viel weniger exquisit dürfte wohl »Passing – Seitenwechsel« werden. Rebecca Hall konnte mit ihren Regiedebüt Anfang des Jahres beim Sundance Festival ordentlich für Aufsehen bei den Kritikern sorgen.

Nach dem 1929er Buchklassiker von Nella Larsen erzählt das Drama die Geschichte zweier Freundinnen. Obwohl man sich nach der High School lange aus den Augen verlor, wird ihre Freundschaft nun bei einem unerwarteten Wiedertreffen auf die Probe gestellt. Denn anders als Irene ist Clare jetzt weiß. Die Schwarz-Weiß-Bilder sehen atemberaubend aus, der Cast ist mit Ruth Negga (»Ad Astra«), Tessa Thompson (»Thor: Ragnarok«), André Holland (»Moonlight«) und Alexander Skarsgård (»Melancholia«, »Hold the Dark«) hervorragend besetzt. Sehr feinfühliges, ruhiges, aber dadurch genaues Kino über Rassenidentität, über Weiblichkeit und über Amerika.

Trailer zu »Passing – Seitenwechsel«

Ja, »Passing – Seitenwechsel« wird von Netflix verliehen, kommt dennoch eben ins Kino. Ausschließlich zum Streamen bekommen wir aber auch einen Film. Und zwar nach der Schwarz-Weiß-Perle was richtig Buntes. Der Animationsfilm »Cryptozoo« erschafft einen fantastsichen Zauberzoo mit Sagengestalten von Medusa bis Pegasus. Jetzt soll ergänzend dazu noch der sogenannte Baku eingefangen werden, ein monströser Traufresser. Das könnte richtig wild werden, aber genau dafür ist das Animationskino eben auch da.

Trailer zu »Cryptozoo«

Dann hat unser Kiezkorrespondet Lua noch auf das Fantasyfilmfest aufmerksam gemacht, was zwar erst Anfang November in den Norden rollt, aber der Ticketverkauf beginnt schon Mitte Oktober, weswegen an dieser Stelle schon informiert werden soll. Schaut euch gerne selbst mal das Line-Up an, aber zwei Filme würde ich tatsächlich in Betracht ziehen: »Pig« und »Ted K«. Im einen ist ein fett-vollbärtiger Nicolas Cage auf einen Rachepfad im Wald auf der Suche nach seinem entführten Trüffelschwein, im anderen wird ein Psychogramm des berüchtigten Unabombers, einem echten Hardcore-Ökoterroristen entworfen. Mal schauen, wann und wie die auf dem Festival laufen, aber außerhalb des Festivals wirds die sicher nicht auf deutschen Leinwänden zu sehen geben.

Trailer zu »Pig« (zu »Ted K« gibt es leider keinen)

NACHTRAG: Das Scala zeigt in zwei Spätvorstellungen den wilden No-Budget-Ritt »Coup«. Beschrieben als Mischung aus Martin Scorsese und Guy Ritchie im Norden von Hamburg, erzählt der Film von einem ausgeklügelten Bankraub und der fatalen Flucht in ein australisches Luxushotel. Fragmente aus dem Genregulasch, Pseudo-Dokueinschnitte, Animationsschnipsel. Perfekter Absacker aus der Rubrik Mitternachtskino mit Moin und Fischbrötchen.

Trailer zu »Coup«

Also, das ist unser buntes Bruzelbuffet für Oktober. Von Macho-Männlichkeit bis zum Filligran-Femininen und alles dazwischen. Auch Autos. Und brennende Franzosen. Hoffentlich. Betet. An mich und für mich. Und LB. Bitte.

Hochachtungsvoll

Ihr JFK-Präsident

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

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