Categories
Preview

Preview März

Des Februars Äcker lagen brach, ohne Sonne, Wärme, Licht. Ohne Mich.

Das lyrische Ich personifiziert sich hier natürlich im heiligen Geist des JFKs, der Sehnsucht nach Filmen, dem Flimmern auf der Leinwand und Popcorn, das beim ekstatischen Versteifen aller Muskelphaserstränge im Hals die Lungenfunktionen an Grenzen führt, die sonst nur David Carradine erlebte. Aber der März haucht gegen diesen karamellisierten Krümel seinen vollen odem cinematorischer Vollmundigkeit und lässt einen wieder die klare Luft der bunten satten Filmwelt, die sich im Oscarmonat hier vor euch ausbreitet.

Der Monat ist überprall, aber eigentlich schon nach dem ersten Film irrelevant. Ich hab Caty und Nina leider jetzt in Berlin knapp verpasst als ich mit Kristen auf der Teddy-Party die neue Chanel-Collection besprochen habe. Aber apropos Berlin: Genau dort spielt »TÁR« (Gewinner von zwei Goldenen Schnecken inklusive Bester Film plus allen anderen Preisen, die euch einfallen). Cate Blanchett gibt eine Lifetime-Performance als die brillante Dirigentin Lydia Tár, deren Leben plötzlich in einer schwindelerregende Abwärtsspirale gerät. Todd Fields großer Comeback-Film, ein finster dröhnendes Psychodrama, grimmig und unnachgiebig, berauschend und formvollendet. Mit dabei noch Nina Hoss und Noémie Merlant (»Porträt einer jungen Frau in Flammen«, »Wo in Paris die Sonne aufgeht«). Tipp: Im Original gucken, um zu erleben, wie Blanchett selbst auf Deutsch switcht, um ein Schukind zu bedrohen. Mehr hier.

So, wahrscheinlich liest jetzt eh keiner mehr, da alle schon ihre »TÁR«-Tickets im Dutzend-Pack kaufen, also jetzt zu einem ganz kleinen Film, der vermutlich eh niemanden interessiert. »Return to Dust« erzählt die Geschichte eines Bauernpaars, das das raue Landleben schweigsam zu erdulden versucht. Eine in malerischen Bildern festgehaltene Studie eines Chinas weit abseits der Städte, die einerseits vor stummer Härte bebt, andererseits in zarter Menschlichkeit erglimmt. Mehr hier.

Okay, womit wecke ich die Kidz jetzt aus ihrem Sekundenschlaf… ADAM DRIVER! DINOS!! LASERPISTOLEN!!! Wieder da? Sehr gut. Naja, wobei… Ich habe keine Ahnung, wer zur Hölle »65« für eine gute Idee hielt, aber hier ist er: Adam Driver landet mit einem kleinen Mädchen auf einem fremden Planeten, der eine Art Dublikat der Erde, nur 65 Millionen Jahre vorher ist. »Es ist schwer ein Gott zu sein«, nur mit Dinos statt mit Rittern und mit Laserwaffen statt mit Schwertern und Morgensternen (ist das wirklich ein Upgrade?). Ich weiß, dass einige den bestimmt gucken wollen, und hey, ein vollkommen bescheuerter No-Brainer mit dem begnadetsten Darsteller seiner Generation (der nur mal wieder einen guten Film machen müsste), kann man mal machen. BALLERN!

Das hat sich auch die französische Filmkritik gedacht, die ausgerechnet dem (Zitat Jacques Rivette) Miststück Spielberg den Film mit der höchsten Durchschnittswertung aller Zeiten gegeben. Na toll. Aber irgendwie bin ich doch auch schon sehr neugierig auf den Toronto-Gewinner und Oscar-Favoriten »The Fabelmans«. Das lang gehägte kleine autobiografische Projekt von Steven Spielberg (»Der weiße Hai«, »Schindlers Liste«, »Indiana Jones«) wird von Publikum und Kritikern gleichermaßen geliebt. Ein kleiner Junge will Filme machen, wobei aber zwischen seinen ersten Sets im Kinderzimmer langsam die Ehe seiner Eltern zerbricht. Michelle Williams (»Brokeback Mountain«, »Shutter Island«) als Mutter, Paul Dano (»12 Years a Slave«, »Swiss Army Man«, »The Batman«) als Vater, Seth Rogen (hat auch gute Filme gemacht) als irgendwer, DAVID FUCKING LYNCH ALS JOHN FUCKING AUGENKLAPPE FORD. Ja, natürlich muss ich den gucken. Wenn er das Ende wieder verhaut, box ich das Miststück.

Nach zwei White-Boy-Fantasien nun mal was von einer schwarzen Frau mit schwarzen Frauen über schwarze Frauen. Die aufstrebende Dokumentarfilmerin Alice Diop wechselt zum Spielfilm und erzählt in ihrem César- und Silber-Löwen-prämierten »Saint Omer« von einem Prozess in Nordfrankreich (Réminems Hood). Dort steht die Senegalesin Laurence Coly vor Gericht, die ihr Baby ertränkt haben soll. Doch beim Beobachten der Verhandlung stellt die ebenfalls senegalesisch stämmige Professorin Rama aus Paris fest, dass der Fall alles andere als eindeutig liegt. Für mich einer der meisterwartetsten Filme des Jahres. Kann leider keine brennenden Französinnen versprechen.

In Korea werden Babys nicht ertränkt, aber weggegeben. Aus einer Babybox (andere Art von Asiabox) fischen zwei Gauner in strömenden Regen ein klitzekleines Kindchen. Dessen Mutter, das es ausgesetzt hat, findet jedoch ihr Kind samt den beiden Kleinkriminellen wieder. Und gründet eine neue, bessere Familie mit ihnen. Kore-eda (»Shoplifters«) macht nach Frankreich einen Ausflug nach Südkorea, exportiert seine feinfühligen Familiendramen aus Japan aber auch dahin. »Broker« soll kein großer neuer Triumph in der Filmographie des Meisters sein, bietet jedoch wieder einen wunderbaren Cast, darunter Song Kang-ho (»Parasite«, »Memories of Murder«, »The Host«) und K-Pop-Star IU.

Um ungewöhnliche Gespanne geht es auch in »Das Blau des Kaftans«. Ein marokkanisches Ehepaar muss sowohl die gemeinsam verheimlichte Homosexualität des Gatten als auch die schwere Krankheit der Gattin aushalten. Doch haben sie darin irgendeine Art Gleichgewicht entwickelt, was nun jedoch von einem jungen Lehrling in ihrer Schneiderei gestört wird. Eine um die ganze Welt herum auf Festivals bejubelte Liebesgeschichte, sensibel und intim, die in ihren Bildern ganz nah heran und tief hinein in die Innenleben ihrer Figuren geht.

»Das Blau des Kaftans« hätte man auch schon beim Filmfest Hamburg mitnehmen können, genauso »Sick of Myself« beim Fantasy Filmfest. Auch die finstere Komödie aus Norwegen kommt jetzt in die deutschen Kinos und erzählt das kompetitive Ringen eines Paares in ihrer hin und her gehenden toxischen Beziehung. Um in der anscheinend neuen JFK-Manier den ausgelutschten Running-Gag aus den Letterboxd-Top-Comments: »Der schlimmste Mensch der Welt« – Tag der Abrechnung.

Auch als alles andere als eine zahme Märchenprinzessin entpuppte sich durch »Corsage« zuletzt die österreichische Kaiserin Elisabeth alais Sisi. Die ehemalige Kitschikone der Großmutter-Generation scheint eine Renaissance zu erleben, nun mit »Sisi & Ich«. Diesmal wird das Porträt der Kaiserin aus der Sicht ihrer Hofdame gezeichnet, während sie an die griechische Mittelmeerküste reisen. Dargestellt von einigen der besten Namen des deutschsprachen Schauspielfachs (Sandra Hüller, Susanne Wolff, Angela Winkler, Stefan Kurt, Georg Friedrich) wird Sisi diesmal nicht nur aus dem Korsett des Hof-Dekors gehoben, sondern auch in ungeahnte lesbische Liebesneigungen geschleudert. Und das trotz Anstandsdame! Drehbuch Christian Kracht. Sehr positiv aufgenommen in Berlin, nachdem unerwarteten Interesse an »Corsage« letztes Jahr jetzt auch hier empfohlen.

Auch wenn’s dem JFK-Normalverbraucher schmerzt, schieben wir gleich noch einen weiteren Film deutscher Zunge hinterher, aber immerhin ist der Titel auf Englisch. »The Ordinaries« wurde als außergewöhnlicher Nachwuchsfilm vielfach prämiert und ist tatsächlich ein wenig kompliziert zu erklären. Die High-Concept-Meta-Komödie erzählt von einer Welt, in der die Menschen als Hauptrollen und Nebenrollen innerhalb eines großen Filmsets existieren. Paula träumt davon, irgendwann mal eine eigene Storyline und spannende Szenen zu bekommen. Deswegen geht sie jetzt logischerweise zur Hauptfigurenschule. Herrlich skurril, beeindruckend ambitioniert, cinematorisch bis sich alles dreht.

Die deutschen sind nun nicht für gute Komödien bekannt, dafür die Franzosen aber für gute Thriller. Patrice Leconte widmet sich nun zum zweiten Mal dem Meister des psychologischen Kriminalromans Georges Simenon, diesmal endlich seiner bekanntesten Figur: »Maigret«. Diesmal gibt Gérard Depardieu den legendären Ermittler und spürt im Paris der 50er dem Tod einer jungen Frau nach. Klassisches Krimikino, gehüllt in Schatten der Schwermut, mit einem Hauptdarsteller im Großformat. Nicht umsonst sagt man über Depardieu, dass mit seinem Umfang sein Talent nur noch wachse.

Wenn ihr euch fragt, wie ihr das alles im Kino schaffen sollt: Auch zuhause wartet noch Ware und die eine bringe ich frisch von der Berlinale mit. »Kill Boksoon« ist der neue Film von Byun Sung-hyun, den die Hamburg-Crew zuletzt mit seinem Polithriller »Kingmaker« entdeckte. Diesmal streicht er die ernsthafte Reflexion koreanischer Geschichte auf Basis wahrer Begebenheiten und erzählt stattdessen von einer berüchtigten Serienkillerin. Einer Serienkillerin, die aber auch alleinerziehende Mutter mit einer Teenie-Tochter ist. Vermutlich keine zu gehaltvolle Kost, aber stylische Action entspannt auf Netflix für die »John Wick«-Crowd (die ja auch noch den vierten Teil der Reihe diesen Monat bekommt).

Zum Schluss noch ein Film zum Nachholen: Wer ihn nach drei Monaten noch immer nicht im Kino sehen wollte (läuft in Hamburg, Marburg und etlichen anderen Städten noch immer) und sich auch zu schade war, kurz mal den VPN für MUBI GB anzuschalten, der hat jetzt ab dem 15. März auf MUBI DE endlich die Chance, »Aftersun« nachzuholen. Das feinfühlige Vater-Tochter-Drama im türkischen Sommerresort mit dem hierfür Oscar-nominierten Paulchen Meskalin (»Normale Leude«) hat letztes Jahr Platz 2 auf der Coerdtschen Jahresliste errungen und galt praktisch überall als eines der großen Meisterwerke 2022. Und das mit einem Debüt!

Es gibt viel zu tun und dann konkorrieren auch noch so starke Titel um die Gunst. Dabei hab ich schon den Felix-Lobrecht-Film »Sonne und Beton«, das »Manta Manta«-Sequel, »Dungeons & Dragons« und sogar den neuen »Wilde Hühner«-Film weggelassen. Bevor wer fragt: Von dem schrägen Kammerspiel »Inside« mit Willem Dafoe wurde ihr auf der Berlinale von mehreren Seiten aus erster Hand abgeraten, daher hier ebenfalls ausgespart. Ihr seht: Die kuratosiche Pflicht, wird nach wie vor gewissenhaft erfüllt. Die Superhelden-Konsumenten haben das sicher auch für diesen Monat schon wieder gemerkt. Aber nehmt die Filmflut als Chance, die Rückkehr des Heilands und des L zu dem B ausgiebig zu zelebrieren. Schreibt gerne in die Kommentare, auf wen ihr euch noch bei den Events zu sehen freut (Mann mit Brille? Himmlische Mutter? Erik?). Und guckt »TÁR«. Mein Gott, warum lest ihr das hier gerade und nicht in diesem Moment schon Tickets???

Hochachtungsvoll

Ihr JFK-President

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *