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Oktober Preview

Werte Aktionäre, teuerste Freunde:

Es wird ernst, wir sind im letzten Quartal. Dieses Jahr war das Kinojahr nicht besonders voll, wir hatten viel Pause, unser Durst nach Kino konnte kaum gestillt werden. Dennoch waren die wenigen Monate picke-packe voll. Wir hatten ein bisschen Spaß, haben hier und da paar Pünktchen springen lassen, haben uns keine großen Gedanken gemacht. Aber das Jahr neigt sich dem Ende zu, die letzten Herausforderer im Kampf um den Thron betreten den Ring. Wer kommt in die Top 10? Kommt noch eine große Überraschung? Wer wird Film des Jahres 2020? Willkommen, in der Endphase des Jahres 2020, willkommen im letzten Quartal, willkommen im Oktober.

Fangen wir mit dem Film des Monats an. Ich weiß, ihr wartet darauf, ich weiß, wie sehr ihr Bock habt und tatsächlich ist die Zeit wieder gekommt: Endlich wieder ein zünftiges Abtreibungsdrama. Mit »Niemals Selten Manchmal Immer« kommt einer der großen Favoriten der diesjährigen Berlinale in die deutschen Kinos. Ein kleiner Independentfilm aus den USA über zwei Teenagerinnen, die nach New York für eine Abtreibung fahren. Roher Realismus gepaart mit intensiven Schauspiel in einer intimen Coming-of-Age Geschichte. Für mich einer der Filme, auf die ich mich dieses Jahr am meisten freue.

Wir bleiben in New York. Dort ist nämlich der neue Film von Sofia Coppola (»Lost in Translation«) angesiedelt. Eine kleine, feine Vater-Tochter-Komödie. Trailer ist harmlos, Kritiken aber überaus sympathisch. Neben der Regisseurin gibt es aber zwei Totschlagargumente für »On the Rocks«. Zum einen ist er aus der A24-Schmiede (»Waves«, »Midsommar«, »The Lighthouse«) und zum anderen spielt Bill fucking Murray die Hauptrolle. Das ist ein Drink für mich.

Große Namen haben wir auch bei »The Trial of the Chicago 7«. Geschrieben und inszeniert wird dieses historische Politdrama von Aaron Sorkin (Autor von »The Social Network« und »Moneyball«), vor der Kamera finden sich Eddie Redmayne, Joseph Gordon-Levitt, Sacha Baron Cohen, Michael Keaton, William Hurt, Mark Rylance, Jeremy Strong und John Carroll Lynch. Diese beeindruckende Truppe entflammt einen wütenden Aufschrei einer ’68 Demonstration, die schließlich im großen Medienrummel und einem noch größerem Gerichtsverfahren. Ein zentrales und aktuelles Thema: Polizeigewalt. Einer von Netflixs Oscarkandidaten für das kommende Jahr.

Ebenso politisch wird es in »Dark Waters – Vergiftete Wahrheit«. Todd Haynes (»Carol«) versucht sich an einem der uramerikanischsten Genres überhaupt: dem Aufdeckungsthriller. Aufgedeckt wird hier von Mark Ruffallo (Bekannt als Hulk aus dem MCU, aber auch aus z.B. »Zodiac«) ein Chemieskandal, der sich um das bewusste Vergiften des Grundwassers dreht. Spannend, politisch, wichtig. Mit dabei sind außerdem Tim Robbins (»Die Verurteilten«), Anne Hathaway (»Les Misérables«, »Der Teufel trägt Prada«, »Brokeback Mountain«) und Bill Pulmann (»Lost Highway«, »Independence Day«).

Das sind natürlich jetzt alles große und schwere Themen, viel Amerika. Gehen wir deshalb mal wieder in kleinere Dimensionen, weit weg vom US-Alptraum. In Australien gibt es nämlich eine schöne, kleine erfrischende Coming-of-Age Geschichte namens »Babyteeth« oder wie er in Deutschland viel knackiger, einfacher und verständlicher heißt: »Milla Meets Moses«. Eliza Scanlen (»Little Women«) kämpft sich hier zwar durch die üblichen Teeniekrisen, jedoch nur mit extremster Rebellion. In Venedig wurde der kleine Film hoch gefeiert, besonders für seine Energie, seine emotionale Frische und das herausragende Ensemble.

Wir bleiben beim Coming-of-Age, gehen aber nach Frankreich. Die Originalität wird hier aber nicht durch Wildheit und Frisurenwechsel erreicht, sondern passend zum Halloweenmonat durch Zombies. Das Ergebnis ist dabei weniger Horror, als eher eine Mischung aus Mystery und Phantasie. Die Kritiken feiern besonders das kreative Spiel auf menschlicher wie politischer als auch übernatürlicher Dimension. Inszeniert wurde »Zombi Child« von Bertrand Bonello, der mich zuletzt mit seinem ziemlich kontroversen »Nocturama« sehr beeindruckt hat.

Politische Allegorie bekommen wir auch in einem völlig anderem Winkel der Welt. Im Argentinien der 70er spielt sich nämlich mit »Rojo« eine Art Kriminalthriller/Psychodrama ab, als ein Privatdetektiv die abgründigen Geheimnisse einer oberflächlich friedlichen Kleinstadt aufdeckt. Die Argentiniert konnten zuletzt immer sehr mit ihren spannenden Genrevariationen überzeugen, die zwar immer auch eine gesellschafts-politische Vielschichtigkeit haben, aber auch einfach auf der Genreebene bis zum letzten Shot fesseln.

Ebenfalls aus Lateinamerika stammt »Ema«, einer der Favoriten letztes Jahr in Venedig. Der hochgepriesene Chilene Pablo Larraín kehrt nach seinen Ausflug mit »Jackie« aus Hollywood in seine Heimat zurück und schnappt sich auch wieder seinen alten Kumpel Gael García Bernal. Nur ist es diesmal keine stylische Polit-Historien-Biografie wie vorher oft, sondern ein noch stylischerer Tanzfilm. Keine Angst, es ist kein »Step Up«, kein wirkliches Musical, sondern vielmehr ein Ehedrama. Nur eben nicht trocken und schwer, sondern feurig und leidenschaftlich. Die Vergleiche in Kritiken und Foren reichen von »Marriage Story« und »Die fabelhafte Welt der Amélie« bis zu »Climax« und »Oldboy«. Alleine das sorgt dafür, dass ich massivst Bock darauf habe.

Ebenfalls richtig Bock habe ich auf einen kleinen Film über eine Ladendiebfamilie namens »Kajillionaire«. Die Familie besteht aus Evan Rachel Wood (»Westworld«), Richard Jenkins (»Shape of Water«, »Burn After Reading«) und Debra Winger (»E.T.«) und ist damit schon mal hochkarätig besetzt. Sie stämmen dieses abgefahren-irrwitzige Familiendrama mit Heist-Elementen, welches jetzt schon Festivalpublikums- und Kritikerliebling ist.

Noch größerer Liebling ist aber »Bohnenstange«. Diese Geschichte zweier Frauen im Nachkriegsrussland entzückt nicht nur schon durch die rot-grün-leuchtenden Bilder, sondern auch durch seinen irgendwie verschrobenen wie zärtlich-humanen Ton. Die kleine russische Perle konnte auf etlichen Festivals abräumen, in Cannes sogar gleich mehrfach für die beste Regie und den Preis der internationalen Filmkritik. Ein heißer Kandidat für die Top 10 am Ende des Jahres.

Auf ein cinematorisches letztes Quartal für dieses Jahr

Herzlichst

Ihr JFK-Präsident

Wo läuft was:

  • Scala: »Niemals Selten Manchmal Immer«, »Babyteeth«, »Ema«
  • Filmpalast: »Dark Waters«, eventuell »Kajillionaire«
  • 3001: »Zombi Child«, »Rojo«, »Bohnenstange«
  • Studio Kino: »On the Rocks«
  • Online: »The Trial of the Chicago 7«

Trailer:

https://www.youtube.com/playlist?list=PLUlw4ADVtTQL_bo5CbZNmL6kTI6Ufs7Qx

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

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