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Preview Oktober

Werte Vereinsmitglieder,

Eigentlich müsste ich die verlorene Zeit erstmal suchen, doch da wir morgen ins Handelsregister eingetragen werden, lasse ich mich von keinem Stress entmannen und blicke mit euch in den endgültigen Herbsteinbruch. Und mein Gott, haben wir viel zu tun.

Es gibt ein großes Festivalroulette. »The Beast« hat Lua schon letztes Jahr in Hamburg gesehen, ich kurz danach in Wien, bei zusammen mit Regisseur Bertrand Bonello (»Zombi Child«, »Nocturama«). Der ist als französischer Arthouse-Querkopf berüchtet und auch dieser neue Film ist gelinde gesagt erstaunlich. Léa Seydoux (»Spectre«, »Dune 2«) und George MacKay (»1917«) lieben sich über drei Zeit- und Realitätsebenen, vom Jahrhundertwendefrankreich bis in eine dystopisch kalte Zukunft. Von Historienromanze bis Psychohorrorthriller durchkreuzen sie dabei auch aparte Genres. Ob dabei alle Ebenen gleich geglückt sind, darüber streiten sich die Gelehrten. Film des Jahres bis HÄ???, das muss man selbst herausfinden. Sehenswert ist er unbedingt.

Ebenso sehenswert ist der Berlinale-Gewinner »Dahomey« von Mati Diop (»Atlantique«). Da fragt die senegalesisch-französische Nachwuchsmeisterin, ob die Rückführung der Benin-Statuen aus Europa in ihre Heimat eigentlich so geglückt gelaufen ist. Kurze, wichtige Doku, magische Bilder, kluge Diskussionen.

Wahrscheinlich nicht so klug werden die Diskussionen um »Joker 2: Folie à Deux« sein. Der Feuillton in Venedig war auch eher gelangweilt. Dennoch muss die Musical-Fortsetzung zum prä-pandemischen Mega-Erfolg mit Joaquin Phoenix (»The Master«, »Her«) und Lady Gaga (»A Star is Born«, »House of Gucci«) hier wohl erwähnt werden.

Gewonnen in Venedig hat »The Room Next Door«. Der Spanier Pedro Almodóvar (»Leid und Herrlichkeit«, »Parallele Mütter«) hat sich das erste Mal auf englische Zungen gewagt, zusammen mit Julianne Moore (»The Big Lebowski«, »Magnolia«) und Tilda Swinton (»Three Thousand Years of Longing«, »Memoria«). Die beiden sind zwei Freundinnen, die sich länger aus den Augen verloren haben und sich nun beim Wiedersehen so einiges zu erzählen haben. Sie reisen noch einmal durch ihre Vergangenheit und alles, was sie lieben. Ein charmantes Duett, locker geplaudert. Perfekt für den Herbst.

Noch ein kleiner Film mit Innenräumen: »Der Spatz im Kamin« ist der neue Film von meinem schweizer Liebling Roman Zürcher, der den JFK einst mit »Das Mädchen und die Spinne« schon beglückte. Ein Riesenerfolg in Locarno, geht das locker-sommerliche Psychodrama erneut in die Tiefe eines Familieninnenlebens. Was Zürcher neben seiner genauen Bildgestaltung ausmacht, ist sein trockener Humor, seine lyrische Versponnenheit und vor allem das genaue Beobachten der alltäglichen Beiläufigkeiten. Und ein Hang zur überraschenden Exzentrik. Für mich eines der beiden großen Highlights diesen Monat.

Der andere ist natürlich der Cannes-Gewinner »Anora«. Sean Baker (»Red Rocket«, »The Florida Project«) erzählt wieder die Story einer Prostituierten, die in Brooklyn in ihr eigenes, kleines Aschenbrödel-Märchen reinstolpert – mit einem russischen Oligarchen. Ein luminiszenter Bilderrausch mit unverbraucht leidenschaftlichen Darstellern, die Crème de la crème des US-Indie-Sozialrealismus. Für mich Anwärter auf den Film-des-Jahres-Titels.

Eine der am schnellsten verpufften Kontroversen des Jahres hatte »The Apprentice«, der neue Film von Ali Abbasi (»Holy Spider«, »Border«) mit Sebastian Stan (»The Falcon and the Winter Soldier«, »Fresh«), Jeremy Strong (»Succession«, »The Big Short«) und Maria Bakalova (»Borat II«). Ein Film über: Trump. Passend zur Wahl. Da hat sich der Ex-Präsident direkt auch massiv drüber aufgeregt. Dabei geht es hier gar nicht um seine Politkarriere, sondern primär um seinen Aufstieg als Geldmann in den 70ern und 80ern. Satirisch, dramatisch, abgründig ist das Ganze wohl allem voran auch ein Film zur Zeit. Aber da stecken wir ja eben auch drin.

Ganz unkontrovers, sondern einhellig geliebt wird auf Netflix »Drei Töchter« mit Elisabeth Olson und Carrie Coon. Den Regisseur Azazel Jacobs hab ich in der Pandemie lieben gelernt mit seinen intimen, tief menschlichen Indiedramen. Hier versammeln sich drei Töchter zur einst auseinandergedrifteten Familie wieder zusammen, als ihr Vater krank wird. Von da an entspinnt sich das, was Jacobs am besten kann: Die herzerwärmende Awkwardness zwischen uns Weirdos nach und nach ausleuchten. Freue mich drauf!

Reicht glaube ich, oder? Es gäbe noch paar nicht uninteressante kleine Kunstdramen und Deutsches, aber das Gegebene reicht glaube ich dicke für einen ersten echten Vereinsmonat. Ich bin leider eh schwerbeschäftigt mit der Viennale, aber ihr macht unserem VEREIN dann ja hoffentlich auch ohne mich alle Ehre, ne?

Küss die Hand

JFK-President

By JFK-President (Official)

Best Cinemamaster between Kopenhagen and Kleinwümmede

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